Der Gedanke, sich in freien Wählergemeinschaften zusammen
zu schließen, ist schon fast 100 Jahre alt. Bereits 1905 gründete sich z.B. in
Strausberg bei Berlin ein Ortsverein, der versuchte, außerhalb der damals
existierenden Parteien aktive Bürger zusammen zu führen, die sich um das
Gemeinwohl kümmern. Bedingt durch das geltende Wahlgesetz von 1863 hatte dieser
Ortsverein zwar nicht die Möglichkeit, Mandatsträger zu sein und
parlamentarisch zu wirken, er verstand sich aber durchaus schon als das, was
man heute Außerparlamentarische Opposition (APO) nennt.
Wie geradezu notwendig derlei Zusammenschlüsse sein
können, zeigt ein aktuelles Beispiel aus dem Raum Karlsbad. Dort unterstützt
die Freie Wählervereinigung Karlsbad e.V. die BIAM (Bürger Initiative Autobahn
A8-Mutschelbach) beim ungleichen Kampf gegen das Landes- und
Bundesverkehrsministerium. Die etablierten „Entscheider“ in den Ministerien
wollen oder können nicht verstehen, dass es den Bürgerinnen und Bürgern
unzumutbar geworden ist, unmittelbar an einer der meist befahrenen Autobahnen
der Republik zu leben. Gewissermaßen als "Schwabenstreich" wird diese
Autobahn auch noch verkehrsbedingt auf sechs Spuren erweitert.
Allerdings zeigt gerade dieses Beispiel sehr deutlich, wie
gesellschaftliche und ökonomische Entwicklungen zu Zwängen führen, die einer
tragischen Verstrickung gleichkommen und Initiativen von „freien“ Wählern von
vornherein zum Scheitern verurteilen. Denn natürlich kann sich hierzulande
letztlich niemand den Interessen des Kapitals ernsthaft in den Weg stellen. Den
Mächtigen und ihren Helfern im Staate, vor allem in der Justiz, kann in so
schwerwiegender Problematik wie beispielsweise Autobahn- oder Flugplatzbau nur
eine wählerstimmenstarke mächtige Partei Paroli bieten. Jede Zersplitterung in
„freie Wählervereinigungen“ hilft im Grunde den Mächtigen.
Es ist eine schöne, aber idealistische Illusion zu
glauben, man könne in der Gesellschaft „unabhängig“ von „Parteistrukturen"
und "frei von ideologischen Parteivorgaben" sein. Dieses „frei“ mag
stimmig sein in Bezug auf sogenannte etablierte Parteien, aber irgendwie muss
man sich ja organisieren, muss man sich in Beziehung setzen zur Gesellschaft,
muss man sich geistig orientieren. Und schon steckt man in den Zugzwängen, die
letztlich kulminieren in den Abhängigkeiten von Wirtschaft, Behörde und
Gesetzgebung.
Es mag den Glücksfall geben, dass sich in einer Gemeinde
ein Kräfteverhältnis entwickelt, in dem ein wirklich fähiger Kopf „freie Wähler“
in einer „Freien Wählervereinigung“ um sich zu scharen weiß, mit der er am Ort
ein Problem im Interesse der Bürger klären kann. Aber je komplizierter der
Konflikt ist, je mehr Interessen sich kreuzen, gar von Stadt, Land und Bund wie
bei der Autobahn, desto gewichtiger muss die soziale Kraft sein, die eine
bestimmte Entwicklung aufhalten oder anders lenken möchte. Und so ist es halt
kein Zufall, dass große, landesweite Parteien die Probleme schultern
müssen - und „freie Wählergruppen“ wie schon vor hundert Jahren leider
relativ einflusslos bleiben.
Alfred
Schick
Zu diesem Beitrag mailte uns Herr Dr. Herbert
Hörne aus Karlsbad:
Sehr geehrter Herr Schick,
endlich einmal findet man etwas über die Freien Wähler auf Ihren sehr interessanten Webseiten.
Leider kann ich das Resultat Ihres Berichtes nicht uneingeschränkt teilen.
Die Zielsetzung der Freien Wähler ist u.a. „bürgernahe Politik an den
Brennpunkten, wo die etablierten Parteien aus lobbyistischen oder sonstigen
Gründen nicht aktiv sein wollen oder können". In Baden-Württemberg stellen
die Freien Wähler ein nicht unerhebliches Potenzial dar. Mehr als 26% in den
Kreistagen und mehr als 42% in den Gemeinde- und Ortschaftsräten. Die CDU-Fraktion in Baden Württemberg hat gerade einen Entschluss gefasst, sie
wollen das zukünftig keine Bürgermeister mehr im Kreistag sitzen. Die
Begründung liegt auf der Hand, die Landräte, welche ebenso in den Kreisräten
vertreten sind, möchten ihre disziplinarischen Untergebenen nicht als
Mit-Entscheider am gleichen Tisch sitzen haben. Die Antwort der Freien Wähler
lautet: „Die Landräte gehören von den Bürgern gewählt und nicht von den etablierten
Parteien durch Protektion ins Amt gehoben." Die Oberbürgermeister haben es
da etwas einfacher, sie unterstehen dem Regierungspräsidenten. Wenn die CDU
damit Erfolg hat, wird ein ganzer Berufsstand, was die Bürgermeister nun mal
sind, durch eine etablierte Partei von der politischen Arbeit in den Kreistagen
ausgeschlossen. Soviel zum Verständnis demokratischer Prozesse der CDU in
Baden-Württemberg. In Bayern und Rheinland-Pfalz nehmen die Freien Wähler
ebenso an den Landtagswahlen teil, also ganz unter den Scheffel brauchen wir
unser Licht nicht zu stellen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Herbert Hörne
2. Vorsitzender der Freien Wählervereinigung Karlsbad e.V.
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