29. und 30. April 2006, Halle
Liebe Genossinnen und Genossen, verehrte Gäste,
unsere Partei und eine weitere und auch nicht wenige Parteilose befinden sich
in einem spannenden herausragenden Prozess der Neubildung einer Partei, die wir
bis zum Sommer des nächsten Jahres abgeschlossen haben wollen. Damit sind
ungeheure gesellschaftliche Chancen verbunden, die zu verspielen weder wir noch
andere das geringste Recht haben.
Diese gesellschaftlichen Veränderungen hängen durch ein bestimmtes Denken und
Fühlen vornehmlich damit zusammen, dass bei der Bundestagswahl erstmalig seit
1949 eine Partei links von der Sozialdemokratie 4,9 % der Stimmen erreichte.
Wir haben nicht - wie viele prognostiziert hatten - dadurch in den neuen
Bundesländern verloren, sondern haben sogar unser Wahlziel von 20 auf 25 %
verbessert. Aber Ihr dürft alle nicht vergessen: Wenn man etwas länger im
Bundestag ist, weiß man auch, wie dort gedacht und gefühlt wird. Die neuen
Bundesländer sind irgendwie hinzugekommen. Die alten Bundesländer sind für sie
sozusagen das Stammland. Plötzlich im Stammland 4,9 % - das erste Mal seit 1949
- das hat Verwirrung ausgelöst, und zwar leider auch bei uns, aber davon
abgesehen, vornehmlich bei den anderen Parteien und in den Medien. Man kann das
noch nicht einordnen. Man weiß nicht, damit umzugehen. Man hofft noch, dass es
eine kleine vorübergehende Erscheinung ist, die sich wieder korrigiert. Nun
gibt es natürlich auch immer wieder in unseren Parteien welche, die daran
arbeiten, dass das nur vorübergehend ist. Aber es gibt zumindest eine große
Mehrheit in unserer Partei und - wie wir wissen - auch in der WASG und
anderswo, die genau diesen Prozess will, dass wir endlich Deutschland durch
eine starke Kraft links von der Sozialdemokratie europäisch normalisieren, und
zwar von Bayern bis Mecklenburg-Vorpommern.
Jetzt gibt es ein paar Illusionen, mit denen man anfangen muss aufzuräumen. Die
erste Illusion ist, man braucht dafür viel Zeit. Dahinter steckt immer die
Hoffnung, dass man mit dem Ablauf der Zeit klüger wird. Wenn ich genau
nachdenke, glaube ich, ich war etwa so klug wie heute auch vor drei Jahren. Ich
bin gar nicht sicher, ob ich klüger geworden bin. Wenn dem nicht so sein sollte
und es euch ähnlich gehen sollte, dann können wir darauf verzichten, daraus
einen zwei- bis dreijährigen Prozess zu machen. Wir sind dann auch nicht
schlauer als heute. Wir sollten uns einfach beeilen, weil die Probleme, die wir
haben, wir sowieso nicht loswerden.
Das Zweite: In beiden Parteien gibt es jetzt einen Sog, alles noch schnell zu
beschließen, was einem wichtig ist. Bei einer Neubildung gelten keine alten
Beschlüsse mehr. Wir müssen dann sowieso alles wieder erstreiten. Es nutzt gar
nichts. Diese Hektik können wir uns auch abgewöhnen. Wir müssen das klären, was
wir als gemeinsame Partei in Deutschland und Europa verändern wollen. Für
welche Ziele wir stehen, müssen wir klären. Das ist wahr. Aber das schafft man
auch in kürzerer Zeit, wenn man weiß, man muss sowieso auch auf die anderen
Rücksicht nehmen und bekommt nicht seinen eigenen Willen hundertprozentig
durchgesetzt. Das ist das Wesen einer solchen Neubildung. Das werden wir auch
schaffen.
Wir müssen dabei eines sehen: Wir sind die Ersten, die eine Vereinigung in
Deutschland versuchen. Es hat seit 1990 sonst keine gegeben. Es gab eine
Einheit. Das ist etwas ganz anderes. Es gab die Ein- und Unterordnung der
ostdeutschen Strukturen unter die vorhandenen westdeutschen Strukturen, ohne
dass es auch nur den Willen gab, gemeinsam voneinander zu lernen und etwas
Neues entstehen zu lassen. Es gab zwei Gefahrenmomente. Das eine war die FDP.
Als sie sich vereinigte, hatte sie ein Problem. Das ist heute unvorstellbar.
Damals hatte sie mehr Mitglieder in den neuen Bundesländern als in den alten.
Was tun? Die weise Führung der FDP hat dann entschieden, ihr Statut zu ändern.
Sie haben ernsthaft geregelt, dass nicht nur die Mitgliederzahl über die Zahl
der Delegierten entscheidet, sondern auch die Stimmenzahl bei gerade
abgeschlossenen Wahlen und über diese sehr merkwürdige Regelung erreicht, dass
sie dann doch mehr Delegierte aus den alten Bundesländern als aus den neuen
Bundesländern hatten. Da war für sie die Welt wieder in Ordnung. Das war
übrigens völlig überflüssig, weil die Delegierten aus den neuen Bundesländern
sowieso alles ganz artig und hundertprozentig gemacht haben, was der
Bundesvorstand gesagt hat. Das wäre also gar nicht nötig gewesen. Aber sicher
ist sicher.
Dann gab es eine weitere Gefahr: Das war die Evangelische Kirche der DDR. Sie
hat nach 1989 auch in den Medien so eine Art Heldennimbus bekommen. Sie hatte
die Geschichte, dass die Opposition der DDR dort Zugang hatte, egal ob sie
gläubig oder nichtgläubig war. Sie konnten die Kirchenräume nutzen, sie konnten
sich dort organisieren. Vergleichbares konnte die Evangelische Kirche der
Bundesrepublik Deutschland natürlich nicht vorweisen. Jetzt bestand die Gefahr,
dass diese Heldengeschichte doch dazu führte, dass man sich richtig vereinigen,
dass man auf die Bedürfnisse der Evangelischen Kirche aus der DDR hätte
Rücksicht nehmen müssen. Da stand aber Herr Gauck vor. Rechtzeitig präsentierte
er acht oder zehn IM aus der Evangelischen Kirche der DDR - alle auf einmal. Da
gab es natürlich ein breites Medienecho, eine gewaltige Diskussion. Obwohl das
eine mit dem anderen und der Geschichte der Kirche gar nichts zu tun hatte,
reichte das völlig aus, um die Evangelische Kirche der DDR moralisch in die
Ecke zu treiben. Sie mussten sich ständig rechtfertigen, und damit war auch
klar, dass die Einheit genauso hergestellt wird wie bei den Gewerkschaften und allen
anderen Parteien. Sie hatten sich einzuordnen und sonst nichts. Es ist immer so
gelaufen.
Nun haben wir gestern bewiesen, dass wir eine bestimmte Reife erreicht haben.
Wir haben ein bestimmtes Selbstbewusstsein. Wir werden uns in dem Sinne nicht
ein- und unterordnen. Davon geht auch keiner aus. Aber das Neue ist, dass wir
das natürlich auch auf gar keinen Fall von unserer Partnerin erwarten. Weil wir
das nicht erwarten, werden wir die Ersten sein, die eine Vereinigung schaffen.
Das ist ein komplizierter Vorgang, weil es sehr verschiedene Leben sind. Das
hat zur Folge, dass man die Dinge unterschiedlich sieht, dass man zur
Geschichte eine unterschiedliche Beziehung hat. Des Weiteren hat das zur Folge,
dass man auch politisch andere Forderungen artikuliert, zumindest in der Form
anders. Wenn du 40 Jahre lang in Dessau aufgewachsen und heute noch oder wieder
in unserer Partei bist und du hast die DDR erlebt und gelebt, dann siehst du
die Welt anders, als wenn du in Passau 40 Jahre aufgewachsen bist. Ich werde
übrigens immer gefragt, warum ich regelmäßig Passau nenne. Der Grund dafür ist,
dass mich zwei Zeitungen aus Passau angerufen und sich darüber aufgeregt haben,
dass ich Passau nehme. Jetzt bleibe ich dabei. Aber davon abgesehen: Wenn da
also jemand 40 Jahre in Passau gelebt hat und erstaunlicherweise ein Linker
geworden ist, dann sieht er die Welt anders. Das müssen wir einfach
akzeptieren. Damit müssen wir lernen, anders umzugehen. Wer aus der etablierten
SPD kommt und sich zu einem Bruch entscheidet, der hat für sein Leben eine
wichtige Entscheidung getroffen, die er jetzt nachvollzieht. Solche Brüche
haben wir im Augenblick gerade nicht. Also müssen wir sehen, dass jemand nach
einem Bruch die Welt anders sieht als jemand, der gerade keinen Bruch hat.
Nun habe ich gestern gehört, wie chaotisch der WASG-Parteitag verläuft. Das mag
ja sein. Aber wollen wir uns mal daran erinnern, wie unsere Parteitage 1990 und
1991 verlaufen sind. Das wollen wir mal nicht vergessen. Unter eineinhalb
Stunden Geschäftsordnungsdebatte begann damals kein Parteitag. Da war der
Zeitplan immer schon gestorben, bevor wir ihn überhaupt beschlossen hatten.
Eine Vereinigung ist ein komplizierter Prozess, wenn es nicht um Ein- und
Unterordnung geht. Bei uns wird es nicht um Ein- und Unterordnung gehen. Aber
andererseits werden wir dadurch auch noch mal vieles neu beurteilen und
bewerten müssen, z.B. die Geschichte der DDR. Wenn man in der DDR gelebt hat,
hat man dazu eine andere Beziehung als wenn man nie in ihr gelebt hat. Jetzt ist
es 16 Jahre her seit der Einheit. Und dass die Linke am längsten brauchte,
spricht vielleicht nicht für sie. Dass wir es dann aber am fairsten und am
gründlichsten machen, spricht vielleicht für uns. Im Jahre 17 der deutschen
Einheit werden wir eine Partei links von der Sozialdemokratie in ganz
Deutschland haben.
Nun gibt es komische Gemeinschaften. Es gibt ein paar junge Trotzkistinnen und
Trotzkisten, "Die Welt" und ein paar andere eher rechts ausgerichtete
Zeitungen, die das Ding verhindern wollen. Das verstehe ich auch. Aber wir
können es ihnen nicht durchgehen lassen. Was versuchen sie? Sie versuchen uns
wieder auf unsere Herkunft aus der DDR, auf unsere Vorgängerpartei zu
reduzieren. Sie versuchen, uns genau diese Debatten an den Hals zu holen. Da müssen
wir souverän werden. Vor allem dürfen wir nicht in Fallen gehen, die reichlich
aufgestellt werden. Das müssten wir doch nun inzwischen nach 16 Jahren gelernt
haben!
Da haben wir ein Problem - Kuba. Was ist denn in Wirklichkeit das Problem? Da
haben wir Linke aus den alten Bundesländern, die als Jugendliche
Che-Guevara-T-Shirts getragen haben. Heute wollen sie nicht zugeben, dass das
falsch war. Verstehe ich auch. Er war ja auch ein toller Typ. Dann haben wir
die aus der ehemaligen DDR, die immer wussten, dass Kuba anders angefangen hat,
als die DDR. Der Sozialismus in der DDR war doch rein zufällig. Stellt Euch mal
vor, die Sowjetarmee wäre nicht in den neuen Bundesländern gelandet, sondern
vielleicht in Bayern. Es gab in ganz Deutschland überall gleich viele
Kommunistinnen und Kommunisten. Das waren in den neuen Bundesländern nicht mehr
als in den alten. Wir hatten einfach sehr unterschiedliche Besatzungsmächte mit
sehr unterschiedlichen Vorstellungen. Also sie hätten in Bayern gestanden und
hier in den neuen Bundesländern hätte es die französischen, britischen und
amerikanischen Truppen gegeben, was wäre passiert? Die Bayern würden versuchen,
ihre bolschewistische Geschichte zu erklären, und wir säßen leicht arrogant da
mit einer halbwegs demokratischen Geschichte und würden uns das anhören. Das
ist das Zufällige. Das bekommt man nicht weg. Das ist der große Unterschied zu
Kuba. Von Deutschland ging ein zweiter Weltkrieg aus, und der endete mit
Besatzung. Das hatte Folgen. Von Kuba ging kein Weltkrieg aus. In Kuba gab es
eine Revolution zur Beseitigung des korrupten kapitalistischen Batista-Regimes.
Das ist ein ganz anderer Ausgangspunkt. So etwas hatten wir in Deutschland
nicht. Dann hat Kuba einiges geleistet. Sie haben ein Bildungswesen, ein Gesundheitswesen
und einen Zugang zur Kultur aufgebaut, wie es ihn bis dahin in keinem einzigen
latein- oder mittelamerikanischen Staat gab. Sie wurden auf dieser Strecke
vorbildlich. Diese sozialen Rechte von Menschen sind Menschenrechte, die sie
dort verwirklicht haben, und zwar in einem Maße, wie das andere Staaten bis
heute nicht getan haben und auch damals nicht getan hatten.
Ihr Sicherheitsdenken war durch Ereignisse geprägt. Da gab es den
Invasionsversuch, da gab es die Schweinebucht-Affäre und die Bereitschaft der
USA, sogar militärisch einzugreifen. Dann gab es die Erfahrungen mit einem
demokratisch gewählten sozialistischen Präsidenten in Chile namens Allende.
Dann gab es einen Militärputsch, der ihn stürzte. Aber dieser Putsch kam nicht
nur von innen, sondern er war von dem um Menschenrechte kämpfenden CIA der USA
unterstützt. Damals interessierten sie sich überhaupt nicht für Menschenrechte.
Das muss man alles sagen, und das muss in einem Antrag stehen.
Dann kommen wir zur zweiten Seite. Ja, es gibt auch Menschenrechtsverletzungen
in Kuba, mit denen wir uns kritisch auseinandersetzen, und zwar durch die
Einschränkung ziviler bürgerlicher Rechte. Da nennen wir gerne die Todesstrafe.
Darüber zu reden, ist natürlich relativ leicht, weil man in diesem Zusammenhang
auch über die Todesstrafe in den USA, China und vielen anderen Staaten meckern
kann. Dann wird Pressefreiheit genannt. Wir kommen aber um eine Frage nicht
herum: Das ist das Ein-Parteien-System. Jede Gesellschaft ist kompliziert und
sie erzeugt unterschiedliche Interessen. Eine Partei ist nie in der Lage, alle
Interessen zu artikulieren. Wir wollen das nicht für Deutschland. Weder durch
die CDU noch durch uns würden wir hier ein Ein-Parteien-System respektieren.
Deshalb müssen wir uns damit auch kritisch in anderen Ländern
auseinandersetzen.
Jetzt lese ich Euch mal von einem Heinz Dietrich vor, der in Frankfurt am Main
studierte, ein wirklich anerkannter und sehr kluger linker Mann. Er ist heute
Berater des Präsidenten in Venezuela. Er lebt in Lateinamerika und unterstützt
auch Nikaragua und Kuba. Er ist aus unserer Sicht ein völlig intakter kluger
Mann, der etwas Hochinteressantes zu Kuba sagte, was ich Euch vorlesen möchte:
"Fidel hat am 17. November 2005 in der Universität von Havanna eine dramatische
Rede gehalten. Er stellte zwei Punkte zur Diskussion: Zum einen könnte die
kubanische Revolution nach seinem Tode den Weg des sowjetischen oder des
DDR-Sozialismus gehen - also zusammenbrechen. Und zum anderen fragte er, wie
Ideen und Konzepte aussehen könnten, um das nach fast 50 Jahren Revolution zu
verhindern. Er begründete die Gefahr vor allem mit inneren Systemdefiziten,
nicht mit der militärischen Bedrohung von außen. Untugenden wie der Diebstahl
von Produktiveigentum, der den Schwarzmarkt nährt, die Verschwendung von
ökonomischen Ressourcen usw. sind - laut Fidel - die wirklichen Defizite, die
zum Einsturz des Projektes führen können. Die USA würden nur darauf warten,
dass er stirbt, um diese Systemdefizite für den Umsturz zu benutzen." Dann
wurde Heinz Dietrich gefragt, wie sich diejenigen verhalten, die mit Kuba
solidarisch sind? Darauf sagte er: "Der Schock war groß. Die Resonanz der
internationalen Solidaritätsbewegung blieb aus. Sie hat bisher nicht
verstanden, dass Fidel eine internationale Diskussion will, um die Revolution
zu retten. Die Solidaritätsbewegung hielt sich zurück, weil bisher Kritik an
Kuba nur von rechten und liberalen Kreisen aus subversiver Absicht betrieben
wurde. Doch die Aufgabe, über die Zukunft nach Fidel und die Zukunft des
Sozialismus nachzudenken, kann nicht zurückgestellt werden. Die Kubanische
Revolution ist - meiner Ansicht nach - in einer Strukturkrise, weil das Modell
sowohl ökonomisch als auch politisch erschöpft ist. Wenn man es nicht
demokratisch und kybernetisch öffnet, so gut das unter den Bedingungen der
US-Aggression möglich ist, sehe ich keine Zukunft." Deshalb sage ich: Die
mit unkritischer Solidarität beteiligen sich nur an der Beerdigung. Diejenigen,
die wirklich Hinweise geben, wie man es besser und demokratischer machen kann,
die helfen.
Und nun muss ich noch etwas zu denjenigen sagen, die im Europäischen Parlament
Anträge stellen: Das kann ich nicht beurteilen, das habe ich das so gelesen,
wie Ihr auch. Aber zu denjenigen im Bundestag und auch im Abgeordnetenhaus von
Berlin kann ich etwas sagen: Das sind die Grünen und im Nachgang auch die FDP.
Sie machen Folgendes: Sie stellen nicht ernsthaft den Antrag wegen der
Kubanerinnen und Kubaner. Das interessiert sie gar nicht. Sie stellen den
Antrag unseretwegen, weil sie durch die Debatte im Europaparlament beobachtet
haben, dass man da wahrscheinlich diese Partei wunderbar vorführen und in Nöte
bringen kann. Das ist normal in der Politik. Auch uns traue ich zu, dass wir
mal einen Antrag stellen, um die Grünen, die FDP, die Union oder die SPD
vorzuführen. Aber es gibt eine Grenze. Die Grenze sind Menschenrechte. Man darf
sie niemals und zu keinem Zweck - auch nicht gegen oder für uns -
instrumentalisieren. Damit haben sie sich unglaubwürdig gemacht! Sie haben sich
auch dadurch unglaubwürdig gemacht, dass sie es gar nicht bestreiten, dass sie
das nur unseretwegen tun. Das darf man mit Menschenrechten eben nicht machen.
Wo ist ihr Antrag zu Saudi Arabien? Wo ist ihr Antrag zu Nepal? Wo ist ihr
Antrag zu Kolumbien mit viel schlimmeren Zuständen als in Kuba? Es gibt
nirgendwo einen Antrag. Wer verletzt denn auf Guantanamo und damit auf Kuba und
im Irak täglich Menschenrechte? Das sind die Vereinigten Staaten von Amerika.
Kritische Solidarität ist angezeigt. Als ich mit Fidel vor einigen Jahren
gesprochen habe - das war ein sehr schönes, langes, aber auch kritisches
Gespräch - da war überhaupt nichts dabei. Ich hätte übrigens im Europäischen
Parlament aus all den genannten Gründen dazu geraten, sich der Stimme zu enthalten,
weil wir doch nicht Menschenrechtsverletzungen leugnen, aber weil wir sagen,
wir lassen auch nicht zu, dass sie instrumentalisiert werden und schon gar
nicht im Auftrag der USA, die diesbezüglich im Augenblick die letzten sind, die
moralische Maßstäbe setzen dürfen.
Dann geht es plötzlich in den Medien auch wieder um DDR-Geschichte. Da hatten
wir schon vieles aufgearbeitet. Dann kommt auch aus unseren Reihen mal der eine
oder andere Satz, wo man denkt, nein, dass kann doch nicht wahr sein, jetzt fangen
wir wieder von vorne an. Ich verstehe schon, was hier passiert. Aber lasst mich
zwei Dinge dazu sagen. Die Art und Weise der Auflösung des Ministeriums für
Staatssicherheit war bei der Beurteilung, die das Ministerium inzwischen
erfährt, geradezu eine Sensation. Es ist gelungen, obwohl die Leute wussten,
sie haben keine Zukunft und Perspektive - weder politisch noch beruflich. Es
ist gelungen, dass 80.000 gut Ausgebildete - auch an Waffen - einfach nach
Hause gegangen sind. Und ich nenne auch einen Namen - wir haben auch unser
kritisches Verhältnis, sehen bestimmte Dinge unterschiedlich -, aber ich sage
einen Namen, weil das ein Verdienst ist und bleibt. Er war dafür erforderlich,
sonst wäre das nie gelungen: Das war Hans Modrow. Das muss man ganz klar sagen.
Ich behaupte, wenn Präsident Bush jetzt entschiede, was man sich gar nicht
vorstellen kann, die CIA nach Hause zu schicken, die würden nicht gehen. Es war
also eine ganz andere Entwicklung, die dazu führte.
Jetzt gibt es welche, die ihr Leben gerne anders beurteilt sehen würden.
Darüber ärgern sich Leute, die Opfer in der DDR waren. Ich verstehe beides. Das
gibt es in jeder Gesellschaft. Nimm doch bloß einmal eine Ehe. Nach der
Scheidung lasse dir doch mal von dem einen die Ehe erzählen und von dem anderen.
Du hörst zwei völlig unterschiedliche Geschichten. Erst recht ist das bei
politischen Vorgängen so. Aber sie machen doch auch nichts anderes als den
Versuch, ihre Sicht auf die Geschichte, die zum Teil auch eine falsche ist, zu
artikulieren. Aber sie begehen keine Verbrechen. Das ist ein großer
Unterschied.
Nun sage ich etwas zu uns als Partei: Individuell kann man die eine oder die
andere Sicht haben. Aber wir müssen immer beide Gruppen in unserem Gedächtnis
haben, auch die Opfer. Peter Sodann hat uns gestern besucht. Er ist als Student
wegen Quatsch und Aberquatsch, wegen staatsfeindlicher Hetze ein
Dreivierteljahr ins Gefängnis gebracht wurde. Das war einfach Unrecht, und wir
werden uns damit auseinandersetzen. Wir haben überhaupt keinen Grund, das nicht
mehr zu sehen!
Wir haben es natürlich in gewisser Weise schwerer als andere Parteien. Die
anderen machen nur einfach eine Pauschalverurteilung der DDR: alles war falsch.
Das machen wir nicht mit. Das haben wir nie mitgemacht. Wir versuchen es differenzierter.
Wenn man es differenzierter versucht, ist es auch schwieriger. Das werden wir
auch Leuten aus der WASG erklären müssen, das ist völlig klar. Das ist eine
neue Herausforderung, vor der wir stehen. Ich kenne auch Schwächen aus der DDR,
die bestimmte Strukturen heute begünstigen. Aber die Pauschale, die hier von
Schäuble, Schönbohm und anderen versucht wird, ist inakzeptabel. Politik drückt
sich vor der Verantwortung, wenn sie meint, sagen zu können, dass
Negativerscheinungen von heute an einem vor 16 Jahren untergegangenen Staat
liegen. Das ist Drückebergerei und das lassen wir nicht zu!
Nun eine Bitte: Die Kritik am Kapitalismus wird schärfer, deutlicher und
genauer. Nicht nur bei uns ist das so. Das geht bis zu Heiner Geißler und hängt
damit zusammen, dass die Kapitalverwertungsinteressen heute direkt und
unmittelbar vertreten werden. Das, was man Raubtierkapitalismus nennt, beginnt
ja zu herrschen. Zurück zum Manchesterkapitalismus, nichts mehr vom
Sozialstaatskompromiss usw. Das ist alles infrage gestellt. Aber wenn unsere
Kritik am Kapitalismus schärfer wird, berechtigt uns das nicht zur Zurücknahme
oder teilweisen Zurücknahme unserer Kritik an der DDR. Diese müssen wir
gleichermaßen aufrechterhalten. Dann sind wir glaubwürdig, und zwar aus einem
ganz wichtigen Grund: Ja, wir reden über eine Alternative zum Kapitalismus,
aber wir haben den Leuten gesagt und versprochen - und da stehen wir im Wort -:
Mit uns gibt es nie wieder einen diktatorischen oder autoritären Sozialismus,
nur noch einen demokratischen! Das müssen wir täglich beweisen.
Ich habe die Stellungnahme zu den Programmeckpunkten der antikapitalistischen
Linken gelesen. Dazu sage ich jetzt nichts weiter, nur zur Einleitung. Da wird
etwas gesagt, was unser Gründungskonsens sei. Das, was da steht, stimmt nicht:
"Der Gründungskonsens bestand darin, dass man die Vorgeschichte einfach
unterschiedlich beurteilt und das stehen ließ". Das ist falsch. Also mit
der Gründung unserer Partei habe ich nun wirklich etwas zu tun. Ich kann mich
an den Parteitag im Dezember 1989 gut erinnern. Da gab es ein Referat des
leider schon verstorbenen Michael Schumann, das der Bruch mit dem Stalinismus
und dem Poststalinismus war. Das hätten alle unterschrieben! Das war unser
Gründungskonsens.
Da wird weiter geschrieben: "Wir forderten eine Alternative zum
Kapitalismus - den Sozialismus." Das ist unvollständig: Der demokratische
Sozialismus war unsere Forderung und unser Name, und nichts anderes wollen wir!
Deshalb ist es mir so wichtig, darauf hinzuweisen: Ein Einzelschicksal ist
unterschiedlich. Man hat unterschiedliche Bedürfnisse. Ich stelle mir vor, ich
wäre nun schon das zehnte Jahr arbeitslos und hätte über diese Zeit das
ALG-II-Einkommen. Ich wäre in einer ganz anderen Situation. Pressefreiheit u. a.
würden mich gar nicht interessieren. Mich interessierte dann eher meine soziale
Not, die ich überwunden sehen will. Also wären für mich soziale Rechte viel
wichtiger als zivile politische Rechte. Nun kann ich aber z. B. Professor in
Peking sein: Meine Wohnung ist bezahlt. Mein Kind hat zu essen. Meine Frau
auch. Das ist alles gar nicht mein Problem. Mein Problem ist, dass es da immer
jemanden gibt, der sagt, da fährst du hin, da fährst du nicht hin, das
schreibst du auf, das schreibst du nicht auf, das darfst du lesen, das darfst
du nicht lesen. Das wäre ich leid. Deshalb müssen wir als Partei immer beide
Schicksale im Kopf haben. Für uns gibt es keine Alternative zwischen sozialen
oder politischen Rechten. Für uns gibt es keine Gegenüberstellung, wie es die
FDP macht oder früher die SED. Die SED hat immer gesagt: Bestimmte politische
Freiheiten kann man nicht geben, wenn es bestimmte soziale Rechte gibt. Die FDP
sagt: Bestimmte Freiheiten erfordern, dass es bestimmte soziale Rechte nicht
gibt. Wir halten das für falsch. Wir lassen uns auf keine Alternative ein. Für
uns ist demokratischer Sozialismus die Vollendung der Einheit von sozialen und
zivilen, bürgerlichen und politischen Rechten.
Ich sage immer: Eine Partei darf sich nur höchstens zehn Prozent der Zeit mit
sich selbst beschäftigen. Neunzig Prozent der Zeit muss sie Politik machen.
Dann gibt es Sondersituationen, wo man sich zwanzig Prozent mit sich selbst
beschäftigen darf und nur achtzig Prozent für Politik übrig bleibt. Leider sind
wir, auch, was meinen Beitrag betrifft, im Augenblick in der umgekehrten
Situation. Ich möchte nur, dass wir das so schnell wie möglich wieder
überwinden. Wir sind in eine Partei gegangen, um die Gesellschaft zu verändern.
Wir haben die Leute aufgerufen, uns zu wählen, damit wir ihre Interessen
artikulieren und durchsetzen und uns nicht ständig nur mit uns selbst
beschäftigen. Das muss wieder deutlich werden - nach unserem Parteitag!
Und nun lasst mich mal etwas zu unseren Strömungen sagen, weil das auch sehr
beliebt ist. Ich sage immer, wir haben eine außerirdische Strömung. Das
verstehe ich ja. Die haben eine reine Lehre und wollen gerne gar keine
Kompromisse machen, um ihre reine Lehre nicht in irgendeiner Form beschädigt zu
sehen. Das scheint etwas edler zu sein. Du gehst jeden Morgen in die Wanne,
kommst immer rein raus, und so bleibt es auch den ganzen Tag. Dann kann man
aber nicht nur Nein zur Regierungsbeteiligung auf Landesebene sagen. Dann darf
man auch keine Kommunalfunktionen übernehmen, weder als Bürgermeisterin noch
als Dezernentin noch als Bürgermeister oder als Dezernent. Aus einem ganz
einfachen Grund ist das so: Auch die Kommune muss ständig neoliberale Gesetze
Europas, des Bundes und dann noch des Landes umsetzen. Wenn ich diese Art von
Kompromissen gar nicht machen will, muss ich überall draußen bleiben. Nur, dann
mache ich ein theoretisches Angebot, das mit zwei Gefahren verbunden ist: Die
eine ist, dass ich sage, ich übernehme Macht nur, wenn ich sie ganz bekomme -
niemals teilweise, niemals im Kompromiss. Ich halte das für einen ganz falschen
Ansatz. Zweitens: Ich sage den Leuten, die hier und heute leben, auch den
Rentnerinnen und Rentnern von hier und heute: Für Euch kann ich leider nichts
tun. Ich habe ein Programm. Wir sehen uns in 60 Jahren wieder. Das ist für mich
der falsche Ansatz. Ich will das ganz klar sagen.
Dann gibt es eine zweite Gruppe, die in Verantwortung ist: Da kann man sich
auch ändern. Ich bestreite nicht, dass da einige dabei sind, die denen, mit
denen sie zusammenarbeiten, täglich ähnlicher werden, bis sie denen so ähnlich
sind, dass sie sich gar nicht mehr unterscheiden. Dazu sage ich: Das brauchen
wir auch nicht. Dafür haben wir eine eigene Partei mit eigenen Sichten. Das
muss deutlich werden. Mit denen muss man sich auch auseinandersetzen.
Dann gibt es noch eine dritte Gruppe, der ich mich zugehörig fühle, so dass sie
dadurch besser wegkommt als die vorhergehenden: Ich hoffe, das ist das breite
Zentrum. Wir sagen zweierlei. Erstens: Wir denken immer wieder neu über eine
Alternative zur kapitalistischen Gesellschaft nach, weil wir sagen, die
Menschheit braucht eine andere Antwort auf ihre herausragenden Probleme. Wir
leugnen überhaupt nicht, dass der Kapitalismus wirtschaftlich effizient ist,
dass er hervorragende wissenschaftliche Leistungen vollbringt. Aber er
verschärft täglich die sozialen, die kulturellen, die ökologischen Widersprüche
auf dieser Welt, und zwar in einer dramatischen Weise. Deshalb denken wir über
eine Alternative nach. Wir nennen sie demokratischen Sozialismus. Aber in der
Zeit, in der die Menschheit um solche Fragen ringt, kümmern wir uns trotzdem im
heute, hier und jetzt konkret um das Schicksal der Menschen. Dazu kann auch
gehören, Verantwortung in der Kommune, im Land und anderswo zu übernehmen, um
zu zeigen, da können wir immerhin im Kompromiss für euch durchsetzen. Das ist
doch nicht nichts. Man muss beides wollen, beides machen und zu beidem stehen.
Dann haben wir noch unsere politischen Aussagen: Wir leben doch in einer Welt,
die anfängt, verrückt zu werden. Nehmt doch mal den Iran. Der Bush will
offensichtlich schon wieder einen Krieg führen, und diesen iranischen
Präsidenten scheint das nicht zu stören. Der sagt Sätze über Israel, über die
Geschichte des Holocaust, die absolut indiskutabel sind. Das werden wir so
deutlich jeden Tag sagen. Aber wir sagen auch: Es gibt keine Lösung des
Problems in Form eines Krieges. Wir sagen: den USA geht es wieder um ihre
Ressourcen, um Erdöl und vieles andere. Und wir sagen: die Atommächte sind die
letzten, die diesbezüglich das große Maul haben dürfen. Wir hatten doch das
Ende des kalten Krieges. Warum haben sie denn nicht mit der Atomrüstung
aufgehört, um in der Welt vorbildlich zu werden?
Und wir haben unsere innenpolitischen Aussagen: Wir hatten Steuergeschenke für
die Konzerne und für die Reichen unter Schröder, wie in der gesamten Zeit
vorher - von Adenauer bis Kohl - nicht, schon gar nicht unter Schmidt und erst
recht nicht unter Brandt. Schröder hat das zusammen mit Fischer ermöglicht. Das
wollen wir nicht vergessen. Das waren SPD und Grüne. Was macht jetzt die große
Koalition? Die redet anders. Wir haben den Zeitgeist schon ein bisschen
verändert. Wir haben sie verwirrt - leider nicht so sehr mit unseren 25 % in
den neuen Bundesländern, sondern mehr mit den 4,9 % in den alten Bundesländern.
Dadurch reden die plötzlich anders über die soziale Frage.
Ihr merkt das auch im Fernsehen. Die sind eher verwirrt. Jetzt haben sie eine
große Koalition. Die können nicht mehr nur die CDU und SPD zum Streitgespräch
einladen. Die sagen ja beide dasselbe. Jetzt brauchen sie so komische Parteien
wie unsere. Aber das fällt ihnen schwer - uns aber nicht ganz so schwer.
Wir verändern schon den Zeitgeist, aber noch nicht die Realität. Was macht denn
die große Koalition? Sie setzt das Rentenalter auf 67 Jahre herauf. Das ist
eine Unverschämtheit bei dem Arbeitsmarkt in Deutschland. Sie haben nicht
einmal Arbeit für einen 50-Jährigen. Sie sagen: Junge Arbeitslose bis zum 26.
Lebensjahr erhalten weniger als ältere Arbeitslose. Die Jungen, die angeblich
am Hindukusch den Frieden verteidigen, wo du als Vater gar nichts sagen darfst,
wenn dein 19jähriger Sohn sich entscheidet, dahin zu gehen. Aber wenn er
arbeitslos wird, dann kommt derselbe Staat und sagt: Kümmere du dich doch
darum, was geht er uns denn an. Nein, das nehmen wir nicht hin.
In den letzten sieben Jahren wurden immer wieder Sozialmaßnahmen gegen
Rentnerinnen und Rentner, gegen Kranke und gegen Arbeitslose beschlossen. Ich
sage das hier ganz deutlich in Richtung der großen Koalition: Das ist auch
nicht christdemokratisch. Es ist auch nicht sozialdemokratisch. Haben Sie doch
einmal den Mut zu einer gewissen Umverteilung! Es gibt bei uns so reiche Leute
- nicht nur einen Ackermann, es gibt viele davon - die etwas mehr zahlen könnten,
damit wir mehr soziale Gerechtigkeit verwirklichten. Was wäre denn so schlimm
daran, Frau Merkel und Herr Müntefering. Machen Sie es doch mal!
Wir haben unsere Forderungen - Mindestlohn: Wir begründen unseren Mindestlohn
der Höhe nach immer mit der pfändungsfreien Grenze. Wisst Ihr, wie viele Briefe
ich bekomme, in denen steht: Sagen Sie das doch nicht so oft, sonst wird die
pfändungsfreie Grenze gesenkt. Die Leute haben genau die umgekehrte Sorge. Aber
es war der Gesetzgeber.
SPD und CDU haben gesagt, 989 Euro ist das Mindeste, was einem Menschen bleiben
muss. Wenn sie sagen, ein Gläubiger darf nichts anfassen, was diesen Betrag
kürzen würde, dann muss das auch das Mindesteinkommen in Deutschland werden.
Dafür stehen wir, und dafür stehen die Gewerkschaften. Dafür werden wir kämpfen
in dieser Gesellschaft. Wir wollen keine Null- und Minusrunden der Rentnerinnen
und Rentner mehr. Wir wollen, dass die Praxisgebühr wegfällt. Ich möchte nie
wieder einen jungen Mann mit Fieber Ende Juni sehen, der sagt, er muss noch ein
paar Tage bis zum Arztbesuch warten, weil er nicht zweimal die Praxisgebühr
zahlen kann. Das ist für unsere reiche Gesellschaft unerträglich und
unannehmbar. Und wir wollen die Gleichbehandlung junger Arbeitsloser. Dafür
wollen wir auch gerechte Steuern. Das ist nicht nur die Vermögenssteuer.
Sondern auch die Körperschaftssteuer. Das ist die Steuer auf
Veräußerungserlöse, d ie internationale Börsensteuer, die übrigens inzwischen
auch von Herrn Geißler befürwortet wird. Die Welt gerät wirklich stark
durcheinander. Und es ist ein höherer Spitzensteuersatz der Einkommenssteuer:
Nach unserem Vorschlag zahlt man bis zum einem Jahreseinkommen von 80.000 Euro
weniger als heute. Aber wenn man mehr als 80.000 Euro hat, muss man mehr
bezahlen. Ich kenne solche Leute. Da gibt es sogar welche, die dazu bereit
sind. Aber alle können es verkraften. Deshalb werden wir von dieser Forderung
nicht abweichen. Die Regierenden sind zu feige, solche Schritte zu gehen. Das
werden wir ihnen jeden Tag sagen.
Dann sind wir eine antineoliberale Partei. Wir haben klar gesagt. Wir sind
gegen die Privatisierung der Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge.
Ich kenne natürlich auch die Gegenargumente. Lasst mich nur einen Satz sagen.
Es gibt einen Unterschied zwischen Eigentum und gesetzlicher Sicherung.
Natürlich kann ich sagen, ich verkaufe alle Wohnungen, aber ich behalte da
irgendwie per Gesetz die Hand drauf, was die Miethöhe etc. betrifft. Aber ich
garantiere Euch. Das geht ein paar Jahre, und nach ein paar Jahren wird ein
Gericht sagen: Es ist ein unzulässiger Eingriff in die Eigentumsrechte. Nein,
hier ist Eigentum schon besser. Wir wollen nicht wieder die staatliche
Eisdiele. Das muss klar gesagt werden. Wir sind doch nicht bescheuert. Wir
haben aus der Geschichte gelernt. Aber die öffentliche Daseinsvorsorge muss in
politischer Verantwortung bleiben, weil sonst auch Demokratie und Wahlen keinen
Sinn machen, wenn diesbezüglich nichts mehr zu entscheiden ist.
Natürlich sind wir gegen Deregulierung. Die klugen Unternehmerinnen und
Unternehmer wissen, dass es eine Verbindung der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer von Mercedes und vielen anderen Unternehmen mit den Produkten gab.
Das hat zu einer viel höheren Disziplin geführt, als wenn du es darüber machst,
dass du jeden Tag kündigen kannst. Das heißt, eine Entwicklung 150 Jahre zurück
wird es mit uns nicht geben. Deshalb sind wir für Kündigungsschutz und wir
bleiben auch bei diesem Standpunkt.
Natürlich sind wir gegen Sozialabbau.
Ich kann und will jetzt nicht viel zu Berlin und Mecklenburg-Vorpommern sagen.
Aber in Mecklenburg-Vorpommern hat unser Landesverband nach der ersten
Regierungsbeteiligung Stimmen verloren. Ich meine, sie haben daraus gelernt.
Sie haben das diesmal viel besser gemacht, und wir werden solidarisch mit Euch
kämpfen, um eine Steigerung zu erreichen. Ich bin sicher, dass wir das im
Herbst 2006 schaffen. In Berlin ist alles viel schwieriger. Da müssen wir mal
gesondert darüber reden. Aber kulturell hat sich etwas verändert. Die Stadt ist
heute anders. Wir werden etwas Lehrgeld bezahlen. Das ist auch nicht schlimm.
Aber wir werden für ein gutes Ergebnis streiten. Wir schaffen das. Das lassen
wir uns weder von der "Welt" noch von Trotzkistinnen und Trotzkisten
kaputtmachen. Das ist doch klar.
Wir sind auch kritisch zu uns. Der Berliner Landesverband hat Selbstkritik bei
Wohnungen usw. geäußert. Es ist doch klar, wenn man das zum ersten Mal macht,
kann es Fehler geben. Aber die deutsche Hauptstadt wurde jetzt seit vier Jahren
von uns mitregiert. Herr Stoiber dachte, das ist das Ende dieses Landes.
Vielleicht schaffen wir es sogar, dass der Bund Bundeshilfe bezahlen muss, so
wie es im Grundgesetz steht. Dann bringen wir die Hauptstadt auch wieder in
Ordnung. Ohne uns hätten sie das nicht geschafft.
Nun lasst mich meine zwei letzten Bemerkungen sagen: Ich habe nach Gera gesagt,
unsere Partei hat ihre Erotik verloren. Ich musste das zum Glück nicht
übersetzen. Aber es stimmt: Wenn Ihr die Bilder des Geraer Parteitages seht,
wenn Ihr den Hass seht, die Ablehnung, die Lautstärke, kein einziges Lächeln.
Wer nicht einmal mehr über sich selbst lachen kann, hat null Erotik. Ich denke,
unser Parteitag hat jetzt etwas anderes bewiesen. Ich sage Euch: Die
Vereinigung gelingt, wenn diese neue Partei auch Erotik ausstrahlt, und das
liegt auch mit an uns. Ich denke, das schaffen wir - auch die, die schon etwas
älter geworden sind. Es geht um einen anderen Erotik-Begriff.
Letztlich lasst mich noch eines sagen. Das ist heute hier noch gar nicht gesagt
worden: Morgen haben wir den 1. Mai. Ich möchte, dass wir alle Forderungen auf
alle Straßen und Plätzen in Deutschland und Europa tragen! Dankeschön!