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29. und 30. April 2006, Halle
Liebe Genossinnen und Genossen, meine
sehr verehrten Damen und Herren, wir sind zur Zeit in einer entscheidenden
Phase der Bildung einer neuen linken Partei in Deutschland. Der gestrige
Parteitag der WASG war eine Weichenstellung. Es war nicht klar, wie die
Entscheidungen ausgehen würden. Insofern sind wir erleichtert, dass es dennoch
funktioniert hat. Der WASG-Parteitag hat klargestellt: Wir wollen das
Kooperationsabkommen III erfüllen, wir respektieren das Mehrheitsvotum unserer
Mitglieder und wir wollen nicht, das irgendwo gegen die Linkspartei kandidiert
wird. Und es war gut, dass das klargestellt worden ist.
Er hat das Ganze auch nicht unverbindlich gemacht. Natürlich scheuen Linke
immer zurück, zu starke administrative Maßnahmen zu ergreifen. Insofern war es
gut, dass klargestellt wurde, dass man nicht auf den Parteiausschluss einzelner
Mitglieder aus ist, dass man nicht ganze Landesverbände auflösen will. Aber es
ist ebenso klargestellt worden, dass man finanziell und organisatorisch einen
Landesverband nicht unterstützt, der das Kooperationsabkommen und die
Entscheidungen der Mitglieder nicht respektiert. Und es sind auch die
rechtlichen Möglichkeiten des Parteiengesetzes, die darauf hinauslaufen, dass
bei Parteigliederungen, die in wesentlichen Fragen abweichen von der Richtung
der Gesamtpartei, die nächsthöhere Instanz Ersatzmaßnahmen in die Wege leiten
kann, vom Parteitag gebilligt worden. Denn die Entscheidungen eines
Bundesparteitages können nicht völlig unverbindlich sein. Eine Partei muss auch
klarstellen, dass sie gewillt ist, mit ihren Möglichkeiten ihre Entscheidungen
dann auch durchzusetzen.
Und dennoch müssen wir sehen, dass diese Beschäftigung mit uns selbst - wie
Gregor Gysi es formuliert hat - nicht das Eigentliche sein kann, was wir in
diesen und in den nächsten Tagen und Wochen zu leisten haben. Es geht darum,
eine große Lücke auszufüllen, die nicht nur in Deutschland, sondern auch in
Europa entstanden ist - die Lücke, die der Neoliberalismus geschaffen hat. Wir
brauchen eine starke Linke in Europa und wir brauchen eine starke Linke in
Deutschland. Die Möglichkeit dazu war noch nie so groß wie zur Zeit, auch in
Zeiten der Großen Koalition unter Merkel, Müntefering und all den anderen.
Ich möchte hier hinweisen auf eine Befragung, die in den letzten Tagen in
Ostdeutschland gemacht worden ist, wo junge Menschen gefragt worden sind, was
sie eigentlich von unserem Parteiensystem halten. Denn wir müssen uns ja eines
immer wieder fragen: Warum gelingt es uns nicht, bessere Wahlergebnisse als
die, welche wir erreicht haben, zu erzielen? Es ist doch nach wie vor
erschütternd festzustellen, dass die Mehrheit der Rentnerinnen und Rentner in
Deutschland Parteien wählt, die für Rentenkürzungen stehen. Es ist ebenso nach
wie vor erschütternd festzustellen, dass die Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer in Deutschland Parteien wählt, die für Lohnkürzungen eintreten,
die in Deutschland "Arbeitszeitverlängerung" genannt werden. Das ist
ja der Betrug auch im Öffentlichen Dienst. Es geht überhaupt nicht um Arbeitszeitverlängerung.
Es ist denen schnurzegal, wie lange die Leute arbeiten. Es geht nur um den Lohn
in der Stunde, und der soll gekürzt werden. Und wir müssen diese Lügen
entlarven, das ist eine unserer Aufgaben in Deutschland!
Wenn man sich dann die Frage vorlegt, warum die große Mehrheit der Wählerinnen
und Wähler gegen die eigenen Interessen votiert, dass Parteien der Renten- und
Lohnkürzungen gewählt werden, dann gibt es zwei Antworten: Einmal ist die
neoliberale Gehirnwäsche - ich nenne das so, obwohl der eine oder andere oder
auch viele sich provoziert fühlen - in den letzten Jahren so erfolgreich
gewesen, dass viele Rentnerinnen und Rentner und Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer glauben, es sei in der heutigen Zeit nicht mehr möglich, Renten
oder Löhne zu erhöhen, weil wir sonst im internationalen Wettbewerb
zurückfielen. Wenn man sich die veröffentlichte Meinung ansieht, dann ist das
ja immer noch die durchgängige Aussage vieler Kommentare: Wir müssen Verzicht
leisten, wir müssen den Gürtel enger schnallen, damit wir im internationalen
Wettbewerb bestehen können. Und hier greife ich eine Feststellung von Gregor
Gysi auf, der gesagt hat, die Linke ist dann auf verlorenem Posten, wenn auch
der Hartz-IV-Empfänger glaubt, bei ihm müsse auch noch gekürzt werden, weil wir
sonst die internationale Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Das ist eines der
Probleme, vor denen wir stehen, und da dürfen wir uns nicht in die Tasche
lügen.
Das zweite Problem ist aber wichtiger für uns und deshalb spreche ich es an:
Die Mehrheit dieser Jugendlichen hat auch gesagt, die politischen Parteien
genießen bei uns kein Vertrauen mehr, die scheren wir alle über einen Leisten,
die sind alle unglaubwürdig und deshalb setzen wir eben nicht mehr unsere
Hoffnungen in die Politik. Das ist auch eine Herausforderung an uns, nicht nur
an die anderen Parteien, das gilt genauso für uns.
Auf diese Herausforderung kann man nur mit einem Bemühen antworten, in den
Grundlinien der Politik verlässlich zu sein und um Glaubwürdigkeit zu ringen. Das
sagt nichts gegen Kompromisse, aber es sagt ganz klar, dass es bestimmte Linien
geben muss, die eine Linke nicht überschreitet. Denn sonst sind wir nicht mehr
unterscheidbar von anderen Parteien.
Das ist im Übrigen eine Definition, die Max Weber für einen Staatsmann gegeben
hat, ohne dass ich jetzt die Linke zu Staatsmännern oder -frauen erklären will.
Aber Max Weber hat immer wieder gesagt: Ein Staatsmann zeichnet sich dadurch
aus, dass man bei ihm mit Sicherheit weiß, was er nicht machen wird. Und das
ist ja die Krux der letzten Jahre, dass viele Staatsfrauen und Staatsmänner
tätig waren - ich denke jetzt auch an die rot-grüne Koalition - bei denen man
eben nicht mehr wusste, was sie nicht machen würden. Ob das Kriegseinsätze
waren oder Sozialabbau oder was auch immer, die Politik war so beliebig
geworden, dass überhaupt keine Verlässlichkeit mehr in irgendeinem politischen
Feld gegeben war. Das war die Herausforderung, die in den letzten Jahren für
die Wählerinnen und Wähler gestellt worden ist.
Und hier haben wir uns zu fragen: Wie sieht es denn mit uns aus? Ich werbe
dafür, dass die Linke sich über politische Inhalte definiert und dass sie im
Zeitalter des Neoliberalismus klare antineoliberale Positionen bezieht und dass
sie im Zeitalter des Raubtierkapitalismus klare antikapitalistische Positionen
bezieht. Wir müssen unterscheidbar sein von den anderen Parteien - das ist
unsere große Aufgabe!
Ich will versuchen, in der Kürze der Zeit noch einmal die Eckpunkte zu nennen,
die wichtig sind, wenn es um die Programmatik der Linken geht. Und ich beginne,
weil das so wichtig ist, mit der deutschen Außenpolitik. Es wird in diesem
Lande ja überhaupt nicht mehr diskutiert, dass diese Außenpolitik keine
vernünftige Grundlage hat. Sie ist im Grunde genommen ein mehr oder weniger
orientierungsloses Nachplappern amerikanischer Politikpositionen. Eine
eigenständige deutsche Außenpolitik ist seit vielen, vielen Jahren nicht mehr
zu erkennen. Ich will die einzelnen Punkte noch einmal aufführen:
Wenn man ins Zentrum der Außenpolitik - darauf muss ich bestehen - stellt, wir
wollen den Terrorismus bekämpfen, dann muss man sagen, was man unter
Terrorismus versteht. Das können die anderen Parteien nicht. Und das ist doch
wirklich ein Skandal. Nur die Linke sagt, Terrorismus ist das Töten
unschuldiger Menschen, um politische Ziele zu erreichen. Und weil wir das so
definieren, sagen wir, die Attentate im World Trade Center waren Terrorismus.
Die Selbstmordattentäter, die andere mit in den Tod reißen, das sind Terroristen.
Aber genauso sind die Bomber Terroristen, die Städte und Dörfer in Afghanistan,
im Irak und überall bombardieren. Wir sind die einzige politische Kraft, die
das sagt!
Ein zweiter Punkt: Es ist doch nicht zu fassen, dass ich für die Fraktion im
Deutschen Bundestag der Kanzlerin die Frage gestellt habe: Sind Sie bereit, das
Völkerrecht zur Grundlage Ihrer Außenpolitik zu machen? Das wird überhaupt
nicht mehr diskutiert. Das ist in der deutschen Öffentlichkeit gar kein Thema.
Selbst beim Irak-Krieg hat das Bundesverwaltungsgericht festgestellt, dass
Deutschland sich mittelbar am Irak-Krieg beteiligt hat und dass die Beihilfe zu
einem völkerrechtswidrigen Krieg ebenfalls völkerrechtswidriger Akt ist. Das
hätte doch mal diskutiert werden müssen in der deutschen Öffentlichkeit! Und
deshalb haben wir hier auch eine Ausnahmeposition. Wir können uns eine
Außenpolitik, die das Völkerrecht nicht respektiert, nicht vorstellen. Wir
haben hier eine klare, abgegrenzte Position von den anderen politischen
Parteien in der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere von den Grünen!
Insbesondere von den Grünen, liebe Kolleginnen und Kollegen, die uns ja am
heftigsten und am unfairsten im Deutschen Bundestag attackieren, weil sie ein
furchtbar schlechtes Gewissen haben. Der Weg von einer pazifistischen Partei zu
einer Partei, die mehr oder weniger völkerrechtswidrige Kriege befürwortet und
mit zu verantworten hat, war bei Gott ein weiter Weg. Aber er ist ein Weg in
die Unglaubwürdigkeit. Und wir müssen das immer wieder öffentlich sagen und zu
Protokoll geben.
Ein dritter Punkt: Wir sind die einzige politische Kraft, die ohne irgendwelche
Hemmungen sagt, die Kriege im Afghanistan, die Kriege im Irak und im Vorderen
Orient sind nicht Kriege für Freiheit und Demokratie, sondern es sind
imperialistische Feldzüge zur Eroberung von Rohstoffquellen. Wir müssen das
sagen, sonst sagt es keine andere Partei!
Und der vierte Punkte hat Aktualität, und davon haben Gregor Gysi und Lothar
Bisky bereits gesprochen: Es kann doch nicht wahr sein, dass wir gegenüber dem
Iran eine Außenpolitik auf der Grundlage machen, die simpel heißt - ein Teil
der Staaten, die guten, die dürfen Atomwaffen besitzen und sie sogar noch
weiterentwickeln. Und auf der anderen Seite verbieten wir es anderen Staaten,
Atomwaffen zu schaffen oder zu erwerben. Nein, die Antwort kann doch nur sein,
dass die Atommächte endlich den Atomwaffensperrvertrag erfüllen. Und der
verpflichtet sie seit Jahrzehnten, atomar abzurüsten. Sie sind vertragsbrüchig
geworden, nicht diejenigen, die immer angegriffen werden.
Wenn es eines Beweises bedurft hätte, wie unglaubwürdig die Außenpolitik der
Bush-Regierung ist, dann ist es das Verhalten gegenüber dem Iran und gegenüber
Indien. Wer soll denen denn überhaupt noch etwas glauben, wenn sie Indien
unterstützen beim Ausbau der atomaren Technologie und bei der Aufrüstung
atomarer Waffen und dies dem Nachbarstaat verbieten wollen. Das ist doch total
unglaubwürdig. Und die Reaktion der deutschen Bundesregierung ist kläglich bis
piepsig. Das kann doch wohl so nicht bleiben.
Deshalb ist es natürlich auch richtig, dass wir in der Frage der Missionen nach
Kapitel VII der UNO-Charta eine klare Position beziehen. Und deshalb muss auch
klar sein, dass selbst dann, wenn die UNO einen Krieg erlaubt hat, wir immer
wieder sagen, das ist noch nicht die Grundlage, auf der wir irgendeiner
UNO-Mission zustimmen können. Denn in der UNO ist auch eine
Parteienkonstellation am Werk unter Führung der Vereinigten Staaten, die ab und
zu UNO-Beschlüsse zustande bringt, die eine Linke niemals mittragen kann. Die
Lösung kann nur sein, dass dann nicht eine Koalition der Willigen irgendwelche
Maßnahmen ergreift, wenn es irgendwo zu grausamen Handlungen kommt, sondern
dass wir eine UNO-Polizeitruppe anstreben müssen, die nach Polizeigrundsätzen
vorgeht, wenn es darum geht, internationale Streitigkeiten zu schlichten. Eine
UNO-Truppe, die eben nicht überlagert und gesteuert ist von Interessen der
Einzelstaaten. Und genau das ist der Fehler der UNO-Politik in den letzten
Jahren gewesen.
In der Innenpolitik möchte ich einige Bemerkungen machen zu unserer
Sonderstellung - das fällt mir gerade zum 1. Mai leicht. Wir sagen immer
wieder, wir wollen zusammenarbeiten mit den außerparlamentarischen Bewegungen.
Das ist richtig und soll auch überhaupt nicht in Frage gestellt werden. Aber
ich möchte doch einen Schwerpunkt setzen. Wir, die Linke, wollen in erster
Linie zusammenarbeiten mit der deutschen Gewerkschaftsbewegung, die derzeit mit
dem Rücken an der Wand steht. Sie muss gestärkt und unterstützt werden, das ist
eine erste Aufgabe der Linken in Deutschland. Und weil das für uns nicht nur
ein hohles Gerede ist, haben wir einen Gesetzentwurf im Bundestag eingebracht,
der sagt, wir wollen, dass der alte Rechtszustand der Bundesrepublik wieder
hergestellt wird, dass kalt ausgesperrte Arbeitnehmer nicht die Streikkasse der
Gewerkschaften belasten, sondern die Bundesagentur für Arbeit. Denn nur so sind
die Gewerkschaften in der Lage, wieder längerfristig und erfolgreich Arbeitskämpfe
zu führen. Und weil dies seit vielen Jahren, liebe Freundinnen und Freunde,
Position der SPD und der Gewerkschaften ist, werden wir diesen Gesetzentwurf
zur namentlichen Abstimmung im Deutschen Bundestag stellen. Und wir werden
sehen, ob die Sozis sich überhaupt noch daran erinnern, was sie viele Jahre mit
viel Glut und viel Herzblut vertreten haben. Hier kommt es zum Schwur, das ist
die Aufgabe der neuen Linken im Deutschen Bundestag!
Liebe Freundinnen und Freunde, ich werbe für einen weiteren Punkt und ich
wundere mich, wie zaghaft da alle anderen herangehen, auch mancher Kollege aus
den Gewerkschaften. Ich sage das als jahrzehntelanges Gewerkschaftsmitglied:
Wir schauen doch mit Bewunderung nach Frankreich. Und ich höre immer wieder den
Ruf nach französischen Verhältnissen. Ja, die Wahrheit ist immer konkret, d.h.
wir brauchen in Deutschland wie in anderen europäischen Staaten das Recht zum
Generalstreik. Wir brauchen das auch in Deutschland, damit wir endlich auch
Regierungen in die Knie zwingen können!
Manchmal können wir auch von unseren Nachbarn lernen, und man kann auch einiges
in Frankreich lernen. In ihrer jakobinischen Tradition lassen sie sich nämlich
nicht alles gefallen. Und wenn da eine Regierung sagt, wir bauen den
Kündigungsschutz ab für die Jugendlichen, dann gehen die auf die Straßen und
zwingen die Regierung, dieses Gesetz wieder zurückzunehmen. Bei uns hat die
Große Koalition beschlossen, den Kündigungsschutz für alle abzubauen, die neu
eingestellt werden, und nichts passiert. Deshalb brauchen wir ähnliche Rechte
wie in anderen europäischen Ländern. Und das heißt Recht auf Generalstreik auch
für die Bundesrepublik Deutschland. Das muss ein Kampfthema der Linken in den
nächsten Jahren werden!
Um nicht all zu lang zu sprechen, möchte ich noch zwei Fragestellungen
ansprechen, die die Linke immer wieder definiert - das ist die Eigentumsfrage
und die Einkommensfrage. Zur Eigentumsfrage ist schon einiges gesagt worden.
Bei der Eigentumsfrage stellt sich auch immer die Frage der politischen Macht.
Und die Machtfrage ist eine Frage, die die Linke immer wieder aufwerfen muss.
Politik, die die Machtfrage nicht aufwirft, läuft sehr leicht an die Wand oder
wird irgendwann in Watte eingepackt. Wenn es also darum geht, die Machtfrage
aufzuwerfen in unserer Gesellschaft, dann müssen wir uns zunächst daran
erinnern, dass wir zur Zeit eine kapitalistische Entwicklung haben, die sich
Marx vielleicht in dieser Form gar nicht vorgestellt hat. 500 große Konzerne -
diese Zahl muss man immer wieder nennen - bestimmen mehr als die Hälfte des
Weltsozialproduktes. 500 große Konzerne haben mehr zu sagen als nationale
Regierungen. 500 große Konzerne lassen manche nationale Regierung als reine Marionettenregierung
erscheinen.
Das ist die Lage, der wir heute als Linke gegenüber Stellung beziehen müssen.
Und da sehen wir, dass etwas aufkommt in aller Welt, ich denke z.B. an die
sozialistischen Präsidentinnen und Präsidenten in Südamerika, die für mich
Botschaften der Hoffnungen auch an uns vermitteln, indem sie sagen: Wir lassen
es nicht mehr zu, dass der Reichtum unseres Landes von internationalen
Konzernen brutal ausgebeutet wird. Und natürlich können wir uns nicht damit
zufrieden geben, die Eigentumsfrage international zu beobachten oder
aufzuwerfen, wir müssen sie auch im Inneren aufwerfen. Wir haben da einiges zu
korrigieren, was Konzerne angeht, die wirklich entscheidenden Einfluss auf
Wirtschaft und Gesellschaft haben.
Aber deshalb war das Privatisierungsthema auch so wichtig, liebe Freundinnen
und Freunde. Ich bleibe bei der Aussage, wir brauchen doch über die
Einschränkungen der Macht der Konzerne oder der Banken überhaupt nicht mehr zu
reden als Linke, wenn wir tatenlos zu sehen, wie die Bereiche der kommunalen
Daseinsvorsorge, die noch in öffentlichem Besitz sind, privatisiert werden
einer nach dem anderen. Das kann doch wohl nicht wahr sein, dass wir als Linke
dabei tatenlos zusehen! Das heißt natürlich dann, dass wir die Entscheidung in
Dresden, die nachher noch irgendwann eine Rolle spielen soll, dass wir sie klar
bewerten. Das ist keine haushaltspolitische Entscheidung. Natürlich stimmt es
immer wieder: Wenn man Eigentum verkloppt und dafür entsprechende Einnahmen
hat, dass dann eine gewisse haushaltspolitische Verbesserung eintritt. Das will
niemand bestreiten. Aber rein haushaltstechnisch ist die Frage aufzuwerfen, ob
man mit Einmalaktionen wie dem Verkauf des Tafelsilbers längerfristige
strukturelle Probleme in den Gemeinden und in den Ländern lösen kann. Das kann
man natürlich nicht. Wer da etwas lernen will, der muss nach Offenbach gehen,
da sieht man das. Da ist das alles gemacht worden, und sie sind heute wieder
total überschuldet.
Deshalb ist die Antwort der Linken klar: Wir können in Deutschland - und hier
wackelt ja der liebe Herr Beck, der designierte SPD-Vorsitzende so schrecklich
herum, wahrscheinlich, weil er die Probleme gar nicht richtig auseinander hält
- wir können uns in Deutschland keine Steuer- und Abgabenquote leisten - das
"und" ist wichtig! - die 6 Punkte unter dem europäischen Durchschnitt
liegt. Das ist doch unglaublich. Wir verzichten Jahr für Jahr im Vergleich zu
allen anderen europäischen Staaten auf 130 Milliarden Mehreinnahmen der
öffentlichen Hand. Bei dieser Situation ist kein Landeshaushalt, ist kein
Gemeinde- und ist auch kein Bundeshaushalt ins Lot zu bringen. Das ist die
Auseinandersetzung, die wir führen müssen!
Aber es geht nicht nur um diese Frage. Es geht auch um die Frage der
Demokratie, um die Machtfrage, wie ich gesagt habe, um die Frage der Gestaltungsmöglichkeiten.
Selbst wenn alles haushaltspolitisch richtig und überhaupt nicht zu beanstanden
wäre, dann bleibt doch die Frage, welchen Spielraum demokratisch gewählte
Körperschaften vor Ort überhaupt noch haben. Ich konnte als junger
Stadtverordneter - und ich habe diese Aufgabe gern erfüllt - entscheiden über
die Strompreise, über die Gas- und Wasserpreise, über die Tarife der
Verkehrsbetriebe, entscheiden über die Müllgebühren, über die Parkgebühren usw.
Heute hätte ich beispielsweise in manchen Städten überhaupt nichts mehr zu
entscheiden, weil alle diese Betriebe verkloppt worden sind und nur noch
privates Renditedenken bestimmt und die Gemeinde überhaupt nichts mehr zu sagen
hat. Das ist ein Abbau von Demokratie. Wir wollten aber das Gegenteil! Und
deshalb lehne ich die Privatisierung in dieser Form ab!
Und bei der Eigentumsfrage ist dann natürlich die Machtfrage vertieft zu
diskutieren und die Auswirkungen eben der Verfügbarkeit über Eigentum. Da kann
ich eine Diskussion einbringen, die die Westlinke über viele Jahre geführt hat,
auch die Linke in Gesamteuropa. Die Diskussion nämlich, dass mit der
Verstaatlichung allein die Fragen von Eigentum und Macht und Auswirkungen der
Verfügung über Eigentum nicht beantwortet sind. Und dies will ich - weil ich
manchmal zu etwas eigenwilligen Argumentationen neige - begründen mit einem
neoliberalen Ökonomen. Es war die Freiburger Schule, die nannten sich damals
auch neoliberal, es war Walter Euken, der diese Frage der Funktionsfähigkeit
einer wirtschaftlichen Ordnung von einer ganz anderen Sichtweise her immer
wieder aufgeworfen hat. Und er schrieb damals: Es geht nicht um die Kontrolle
wirtschaftlicher Macht, sondern in einer funktionierenden Wettbewerbsordnung
geht es um die Verhinderung wirtschaftlicher Macht. Mit der Position der
Verhinderung wirtschaftlicher Macht wäre dieser Mann in der neoliberalen Ära
ganz links. Er hätte überhaupt keine Grundlage mehr, bei den Parteien, die auf
global player und auf Konzentrationsprozesse setzen. Diese Väter der Marktwirtschaft
in der Bundesrepublik Deutschland, sie setzten auf die Machtkontrolle, ja auf
die Verhinderung wirtschaftlicher Macht. Und genau da müssen wir ansetzen, wenn
wir weiter denken wollen und nicht nur die Antworten geben, die wir bisher
immer gegeben haben.
Ich will zwei Beispiele nennen, die dann vielleicht verständlich machen, wo wir
weiter diskutieren müssen. Ich lade ausdrücklich dazu ein, weiter zu
diskutieren. Nehmen wir an, wir könnten derzeit die Energiewirtschaft
verstaatlichen - Ruhrgas, RWE, eon - alle wären jetzt von heute auf morgen
verstaatlicht. Was würde sich ändern? Ich will das nicht ganz zur Seite tun und
nicht den Eindruck erwecken, es wäre vielleicht ungünstig, aber ich stelle
wirklich die Frage, was würde sich ernsthaft ändern? Wir hätten nach wie vor
monopolartige Märkte. Wir hätten nach wie vor diese Vorstände und
Aufsichtsräte, die wir alle kennen, denn das sind ja die bekannten Figuren, die
überall auftauchen, wenn es darum geht, wirtschaftliche Macht auszuüben. Meine
Befürchtung ist, dass auch eine Veränderung der Eigentumsverhältnisse in der
heutigen Gesellschaftsordnung, also etwa dass die Bundesrepublik Anteilseigner
wäre oder eben auch das Land Nordrhein-Westfalen oder das Land Bayern, dass
dies nichts Wesentliches ändern würde. Und deshalb geht es nicht nur um die
Eigentumsverhältnisse - und dafür werbe ich in Konsequenz der Diskussion der
Westlinken. Es geht auch um die Regeln, unter denen solche Konzerne und solche
wirtschaftlichen Konglomerate tätig sind. Und deshalb werbe ich für eine
Forderung, dass wir sagen müssen: Bei monopolartigen Märkten ist nicht nur die
Eigentumsfrage wichtig, sondern auch die Regeln sind wichtig, unter denen
gearbeitet wird. Und das heißt konkret, die Energiepreise müssen wieder
staatlich reguliert und kontrolliert werden! Das muss unsere Forderung sein in
der Bundesrepublik Deutschland! Denn in einer Zeit, liebe Freundinnen und
Freunde, in der ein einzelner Konzern für die Übernahme eines spanischen
Konzern 29 Milliarden Euro anbieten kann, einfach so, also deutlich mehr als
das, was die Bundesrepublik aus der Mehrwertsteuererhöhung im kommenden Jahr
einnehmen will - in einer solchen Zeit stellt sich doch die Frage, woher nimmt
eon eigentlich das Geld für eine solche Übernahme? Das Geld kommt daher, dass
auf den monopolartigen Energie-Märkten in der Bundesrepublik die Konsumenten
schamlos abgezockt werden mit völlig überhöhten Preisen. Und dagegen muss die
Linke aufstehen! Das ist ein Thema der Linken, nicht der Grünen oder anderer
konkurrierender Parteien.
Und dasselbe gilt natürlich auch für den Bankensektor, da nähern wir uns dem
Thema in Berlin. Der Berliner Bankenskandal hat sich ereignet unter der
staatlichen Regie einer Bank. Wenn also eine Große Koalition etwa die Regie
einer Bank führt, ist damit noch lange nicht gewährleistet, dass die Bank
vernünftig arbeitet. Und auch hier geht es daher um Regeln, denen man die
Kreditwirtschaft unterwirft. Das ist genauso wichtig wie die
Eigentumsverhältnisse. Ich will nicht missverstanden werden - die
Eigentumsverhältnisse sind wichtig. Aber die Regeln sind vielleicht da oder
dort dann noch wichtiger. Und eine Regel, für die ich hier werben möchte, ist
die, dass wir wieder zurückkehren auch beim Zinssatz zu dem, was lange Zeit
üblich war in Europa. Die Basiszinssätze müssen ebenfalls wieder staatlich
reguliert werden, damit das schamlose Ausbeuten der Schwächsten unserer
Gesellschaft über völlig überhöhte Dispositionskreditzinsen, also
Überziehungszinsen, endlich aufhört. Es ist doch ein Skandal, dass ein
Hartz-IV-Empfänger, wenn er überzieht, 13 oder 14 oder 15 Prozent bezahlen
muss, und dass der Vermögende 4 oder 5 oder 6 Prozent für Kredite bezahlen
muss. Und umgekehrt, wenn Geld angelegt wird, dann kriegen die Kleinen 2
Prozent und die anderen Renditen von 7 oder 8 oder 9 Prozent. Die Banken sind
Institute der plumpen Umverteilung. Und dagegen muss die Linke in Deutschland
endlich aufstehen!
Neben der Eigentumsfrage, dazu wäre natürlich noch vieles zu sagen, ist auch
die Frage von Lohn und Einkommen wichtig. Hier müssen wir uns klar
positionieren. Unsere Mindestlohnkampagne ist entscheidend. Und das hat dann
eben auch einen Kontext mit den Gewerkschaften und mit Generalstreik und mit
der Stärkung der Rechte der Gewerkschaften. Man kann das nicht oft genug sagen.
Wir haben die verhängnisvollste Lohnentwicklung in Deutschland im Vergleich zu
allen anderen Industriestaaten. Die Zahlen sind erschütternd. Bei uns saldiert
über 10 Jahre real - 0,9. In den angelsächsischen Hochburgen, in Hochburgen des
Kapitalismus wie Großbritannien und USA waren es 25 oder 20 Prozent real
zusätzlich in den letzten 10 Jahren. Stellt euch einen Moment vor, in welcher
ökonomischen Lage Deutschland wäre, wenn die Lohn- und Rentenentwicklung wie in
den USA und wie in Großbritannien in den letzten Jahren in Deutschland auch
real zu einem Zuwachs von 20 bis 25 Prozent geführt hätte. Wir hätten eine
völlig andere ökonomische Lage in Deutschland. Und deshalb müssen wir die
Gewerkschaften stärken, damit sie endlich wieder ihre Rolle als Tarifpartei in
Deutschland erfüllen können!
Aber, liebe Freundinnen und Freunde, Lothar Bisky hat in seiner Rede, die ich
nachgelesen habe, den Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung erwähnt. Und
dort steht plump und brutal, in diesem Jahr werden die Arbeitnehmer nichts dazu
bekommen. Die Rentner werden ebenfalls nichts dazu bekommen, in Wirklichkeit
verlieren sie ja. Die Bezieher sozialer Leistungen werden ebenfalls nichts dazu
bekommen, sondern eher weniger bekommen. Aber die Bezieher von
Vermögenseinkommen und Einkommen aus selbständiger Tätigkeit werden 7,5 Prozent
zusätzlich bekommen. Was heißt 7,5 Prozent? In 10 Jahren hat sich ihr Einkommen
verdoppelt. Und das ist ja in den letzten Jahren schon so weiter gelaufen. Das
zeigt die völlige Fehlentwicklung in unserer Gesellschaft.
Wir hatten vor Jahrzehnten - und das ist die Herausforderung an die
Sozialsysteme - 90 Prozent Einkommen aus Arbeit und nur 10 Prozent Einkommen
aus Vermögenseinkommen. Heute haben wir nur noch 60 Prozent Einkommen aus
Arbeit und mittlerweile fast 40 Prozent Einkommen aus Vermögenseinkommen. Das
zeigt, wie sehr sich das Land, die Gesellschaft verändert hat. Und deshalb muss
die Einkommenspolitik der Linken auf eine Formel gebracht werden: Wir wollen,
dass die Entlohnung, dass die Verteilung des Reichtums der lebendigen Arbeit
folgt und nicht dem toten Kapital! Das ist die Kampfansage der Linken in
Deutschland und in Europa, wenn es um die Einkommensentwicklung geht.
Ich sprach von einem historischen Zeitpunkt, ich sprach davon, dass wir die
neue Linke natürlich nicht bauen können losgelöst von den
gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen in aller Welt. Deshalb war mir der
Hinweis auf die Entwicklung in Südamerika so wichtig. Aber ich möchte auch
anknüpfen an die europäische Entwicklung und noch einmal sagen: Es ist nicht
nur der Generalstreik in Frankreich gewesen, der uns jetzt herausfordert. Es
war genauso die Ablehnung der Europäischen Verfassung in Frankreich, die doch
Mut gemacht hat, weil hier ein Volk gesagt hat, wir wollen nicht, dass
neoliberales Gedankengut in der Europäischen Verfassung verankert wird. Und es
war genauso der Kampf der Hafenarbeiter gegen eine Richtlinie, die das
Lohndumping in Europa festgeschrieben hätte. Und dieser Kampf war erfolgreich.
Es zeigt sich also für die Linke: Es lohnt sich zu kämpfen! Lasst uns es den
Hafenarbeitern nach tun, die sich erfolgreich durchgesetzt haben gegen den
Abbau ihrer Löhne. Und in diesem Kontext ist auch der Kampf der Linken gegen
die so genannte Bolkestein-Richtlinie ganz entscheidend. Und wenn hier von
Fremdenhass etwa die Rede ist, dann müssen wir eines immer wieder sehen:
Diejenigen, die ganz niedrige Löhne beziehen, die Angst haben um den
Arbeitsplatz, die wollen, dass die Politik auch tätig wird, wenn Lohndumping
zur Regel werden soll in Europa. Deshalb ist der Mindestlohn so wichtig! Und
deshalb ist es wichtig, dass wir die Bolkestein-Richtlinie zu Fall bringen! Wir
müssen weiter dafür kämpfen, liebe Freundinnen und Freunde.
Im Vorfeld des Parteitages der WASG haben sich schon viele unserer Freundinnen
und Freunde - ich sage das mit Ironie, also meine ich unsere Gegner - gefreut,
dass jetzt das Projekt der Linken doch hoffentlich endlich scheitern wird. Wir
haben ihnen aber gezeigt, die Linke wird nicht aufgeben, sie wird nicht
scheitern. Wir werden die neue Linke zustande bringen, weil Deutschland die
Linke braucht! Und wir brauchen eine neue Linke, um eine andere Politik zu
machen, um im besten Sinne des Wortes die Verhältnisse wieder zum Tanzen zu
bringen! In diesem Sinne: Glück auf!