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29. und 30. April 2006, Halle

 

Hans Modrow:

 

Sozialistische Überzeugung und ein demokratischer Sozialismus werden ein Anspruch der neuen Partei sein

Rede des Ehrenvorsitzenden der Linkspartei.PDS zur Eröffnung der 1. Tagung des 10. Parteitages in Halle

 

Verehrte Gäste, liebe Genossinnen und Genossen, Parteitage zählen in der Regel als Meilensteine im politischen Leben einer Partei und sollen es für alle Mitglieder sein.

Über diesen Parteitag könnte man vielleicht einmal sagen, er war der Vorabend für eine neue sozialistische deutsche Linke und hat sich dafür auf den Weg gemacht. Ob das gelingt, hängt von uns, die wir daran teilnehmen, mitgestalten, prüfen und wählen, ab.

Der 10. Parteitag wird nicht nur ein Jubiläum sein. Wie die letzten Tage und Wochen zeigen, tun wir uns schwer, überlagern und vermischen sich Dinge; Bewertungen von Ereignissen fallen unterschiedlich aus und Erfolge wurden in ihren Wirkungen geschmälert, weil der Umgang damit wenig ausgewogen erfolgt. Wir sollten uns über Erfolge freuen und damit so umgehen, dass sie gefestigt werden. Niederlagen und ihre Ursachen sollten wir nicht vergessen und bei aller Freude den differenzierten Blick auf die Dinge nicht eintrüben lassen.

Die Chance zur Gründung einer neuen linken Partei haben wir bei den Bundestagswahlen genutzt und eine linke Fraktion begleitet den Parteibildungsprozess. Die jüngsten Wahlen zu den Landtagen waren kein Misserfolg, aber hoch reden sollten wir nichts. Auf anderer Ebene als bisher begleitet uns ein gewaltiger Abstand zwischen Ost und West auch weiterhin. Das Votum unserer Wähler in Sachsen-Anhalt ist Zustimmung zur gegenwärtigen Linkspartei.PDS, hinter der aber auch jeweils eigene Lebensgeschichten und Erwartungen für die Zukunft stehen. Nachdenklich sollten wir werden, wenn junge Menschen sich mehr auf andere Parteien orientieren und bei einer Wahlbeteiligung von 47% 20 000 Stimmen verloren gehen. Der Wählerschaft im Westen müssten wir noch näher kommen damit zwischen Bundes- und Landesebene keine solchen Abstände entstehen und das Gesamtergebnis einen Aufwärtstrend bekommt.

Bleiben wir noch bei den Wahlen. Die nächsten kommen schon bald in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. Stärker als bisher verbinden sich diese Wahlen mit dem Bildungsprozess der neuen Partei. Wir werden hier nicht die streitbare Debatte in beiden Parteien über eine Regierungsbeteiligung zu Ende führen auch nicht die zum Verstoß durch konkurrierende Wahlbeteiligung. Uns sollte mehr als bisher bewusst sein, wie kompliziert diese Prozesse sind. Das Thema einer Regierungsbeteiligung stößt nicht nur wegen neoliberaler Politik, die dabei mitgetragen wird, auf Vorbehalte innerhalb der WASG. Auch in der Linkspartei.PDS wird von vielen kritisch hinterfragt, was Vorstände kaum zur Kenntnis nehmen. Antworten auf kritische Fragen werden in der Partei bis zur Wählerschaft mit Hinweis auf Unverständnis für erzielte Erfolge und einer bestimmten Böswilligkeit, die entdeckt worden sei, beantwortet. Der Politikwechsel der in der Koalition erreicht werden soll erfordert, dass die Linke auch darin ihr Profil immer deutlich zeigt.

Der Parteibildungsprozess ist eine gemeinsame Sache. Schwächen, die dabei auftreten und Schäden die damit eintreten, ebenso. Es stellen sich für die "Steuerung" ganz offensichtlich neue Fragen, die neue Antworten brauchen. Sie weiter nur von "oben" zu geben, reicht nicht. Dieser Parteitag wird sie noch nicht umfassend geben, aber Bedingungen und vielseitige Voraussetzungen, dass es geschehen kann, müsste er schon schaffen.

Viel wurde und wird darüber gesprochen, was auf diesen Parteitag gehört oder nicht gehört. Das Antragsheft hat einen sehr spezifischen Inhalt. Sollen doch damit zwei Kernfragen unserer Politik im Gegensatz zu Aussagen des Parteivorstandes und der Politik der Linkspartei.PDS neu festgeschrieben werden.

Der Antrag, die Totalprivatisierung der kommunalen Wohnungen in Dresden zu bestätigen, läuft auf eine direkte Konfrontation mit der WASG hinaus und stellt eine gefährliche Annäherung an neoliberale Positionen dar, zu denen die Linkspartei.PDS und nicht nur die WASG entschiedenen Widerspruch einlegt.

Die Anträge zu den Menschenrechten erscheinen wie eine Art Rückbesinnung auf eine Erklärung des Parteivorstandes aus dem Jahre 1998. Wenn wir heute, 8 Jahre später, auf das Thema schauen und nachweisbar ein Bedarf für eine grundsätzliche Debatte dazu angemeldet werden müsste, dann sollte das geschehen und sie könnte gestaltet werden. Für die Kuba-Resolution im Europäischen Parlament gilt - sie entspricht nicht der Position der Linkspartei.PDS!

Der Bedarf an einer offenen Sozialismus-Debatte ist unbestritten. Auch die revolutionär-demokratischen Umbrüche in Lateinamerika sprechen dafür. Es geht dabei um mehr und etwas anderen als eine Kuba-Debatte.

Wir haben ein programmatisches Eckpunktepapier und damit die Herausforderung für eine programmatische Debatte, zu der auch Betrachtungen zum Sozialismus gehören. Eine Reihe Papiere liegt dazu vor, die Autoren der Eckpunkte gehen bisher noch schweigend darüber hinweg. Weitere Angebote für den Parteibildungsprozess, die so komplizierte Fragen wie z.B. Parität, Vorstände, demokratische Grundsätze, Finanzordnung, Mitgliedschaft in der EL betreffen, fehlen uns noch. Der Zeitrahmen und seine Ausgestaltung sollte nicht weiter nebelhaft bleiben. Gewiss, Demokratie braucht Zeit und Raum. Sie abzustecken ist mehr als notwendig. Um aber einen demokratischen Vorgang zu sichern, scheinen konkrete Aussagen über die Durchführung einer Urabstimmung in der Linkspartei.PDS dringend erforderlich.

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freunde, als Ehrenvorsitzender spreche ich nicht über Strömungen und Zusammenschlüsse sondern über meine Erkenntnisse und Erfahrungen. Ob ich für größere Teile meiner Generation oder meiner Überzeugung nahe stehender spreche, müssen die Betroffenen prüfen.

Ich trete ein für die Bildung einer neuen linken sozialistischen Partei und engagiere mich dafür. Ulrich Maurer und ich haben ein Buch mit dem Titel "Überholt wird links" herausgegeben; ein nächstes heißt "Links oder lahm". Die Titel sind nicht zufällig gewählt. Nur als linke sozialistische Partei werden wir einen Platz in der Gesellschaft haben. Wenn lediglich pragmatisches Herangehen an tagespolitische Aufgaben unser Denken dominiert, könnte der neuen Partei ihr linkes Profil abhanden kommen. Und alle, die ein Mandat besitzen, sollten sich nicht erst vor einer Neuwahl daran erinnern, dass es eine Partei mit Politik und Wahlliste gibt. Was wir mit der Bundestagswahl erreicht haben, soll Programm sein. Wir und mit uns die Gesamtheit aller Bewegungen für eine sozial gerechte Gesellschaft haben nur dann eine Chance, wenn es wieder eine starke sozialistische Linke in Deutschland gibt. Von ihr wird, ob im außerparlamentarischen oder im parlamentarischen Kampf, abhängen, ob sich unser Land verändert.

Ich habe Faschismus und Krieg erlebt und noch im Volkssturm mitgetragen und ich bin nach Ende des 2. Weltkrieges Antifaschist und überzeugter Sozialist mit revolutionären Vorstellungen und Ideen geworden. In die DDR, die nach der BRD entstanden ist, bin ich politisch hineingewachsen und habe in ihr Verantwortung getragen. Zu Fehlern, Entstellungen, Versäumnissen und Verstößen gegen das Recht habe ich mich bekannt. Aber genau so deutlich bekenne ich mich zu historischen Leistungen, die mit der Bewahrung des Friedens, mit sozialem Fortschritt und den Aufbauleistungen von vielen Millionen Menschen verbunden sind. Noch etwas aus aktuellem Anlass. Glaubt man den neuen Gralshütern der Geschichte, dann war die Konferenz von Helsinki nur ein Spaß und kein Vorgang von großer politischer und völkerrechtlicher Bedeutung und Chancen in der Zeit des kalten Krieges, die alle Teilnehmerstaaten in die Verantwortung nahm. Geht es um das MfS, dann gehört seine Auflösung und auch die Abgabe der Waffen seiner Angehörigen in meine Verantwortung, unterstützt vom runden Tisch. Was die vielen Millionen Blätter seiner Akten betrifft, halte ich nicht jedes für bedeutsam und rechtlich glaubhaft und meine, ein anderer Umgang damit steht wohl zur Prüfung an. Ich überhöre die Vorwürfe nicht, aber ich stand und stehe für den Gedanken einer friedlichen Vereinigung der beiden deutschen Staaten ein. Friedlich nicht nur für damals - sondern ohne Hass und für einen menschlichen Umgang mit den Biographien - auch heute.

An der Gründung und Entwicklung einer Partei des demokratischen Sozialismus habe ich mit vielen anderen teilgenommen. Ich will und werde diesen Idealen weiter verpflichtet bleiben. Ob dies mit und in einer Partei geschieht, das hängt ganz von dem Charakter der Partei ab, die aus dem Bildungsprozess hervorgeht. Diese Nachdenklichkeit bewegt Viele. Sozialistische Überzeugung und ein demokratischer Sozialismus werden ein Anspruch sein. Die Rede ist allemal davon, dass ein solcher Prozess nicht ohne Verluste sein könne. Ob groß oder klein, wer geht oder bleibt, ist jedoch ein gewaltiger Unterschied für die Zukunft einer Linken. Noch haben wir die Chance, nach der Gründung einer gemeinsamen Fraktion auch den gemeinsamen Weg von Linkspartei.PDS , WASG und Tausenden neuen Mitstreitern in eine linke sozialistische Partei zu gehen. Dazu gehören die progressiven Inhalte, neue demokratische Strukturen und fähige Persönlichkeiten, die wir gewiss haben. Nicht irgendwelche Autoritäten, sondern allein die Mehrheit der Delegierten dieses Parteitages haben das Recht und die Verantwortung darüber zu entscheiden. Kleiner hält es die Geschichte für keinen der Delegierten bereit und für Unfähigkeit und Versagen wird sie keine Entschuldigungen einräumen. Lasst uns aufbrechen. Nur gemeinsam können wir das Land so verändern, dass Frieden, soziale Gerechtigkeit und Gleichheit, sowie das Streben nach einem demokratischen Sozialismus darin einen bestimmenden Platz finden.

Die 1. Tagung des 10. Parteitages der Linkspartei.PDS ist eröffnet.