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Der Wahn des Himmlischen Friedens
Auszug aus einem Interview mit Peter Scholl-Latour
(Jg.1924) in „Neues Deutschland“ vom 30.Oktober 2009. Mit dem Bestsellerautor und Islamexperten sprach Karen Vesper.
• »Der
Wahn des Himmlischen Friedens« heißt eines Ihrer Bücher. Verstehen Sie die Aufregung um China, das Gastland der Messe (Frankfurter
Buchmesse)?
Das ist die
typische deutsche Heuchelei. Diese ewigen
Vorwürfe und Scheinappelle. Die Amerikaner haben das längst eingestellt.
Die Dissidenten als alleinig glaubhafte
Repräsentanten Chinas, Kronzeugen von Zensur und Repression
aufzubieten, musste den Zorn des offiziellen
Delegationsleiters provozieren. Ich
kenne Mei Zhaorong, ein freundlicher
Herr, den ich stets konsultiere,
wenn ich in Peking bin. Ich verstehe, wenn er sagt: »So konnten Sie
vielleicht früher mit uns umspringen. Diese
Zeiten sind vorbei.« Die Deutschen
sollten sich an ihre eigene Nase
fassen, sich an die Hunnenrede von
Wilhelm II. in Bremerhaven erinnern, als er im Jahr 1900 das deutsche »Expeditionsheer« zur Niederschlagung des Boxeraufstandes verabschiedete.
• »Pardon wird
nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht!«
Und sie
sollten wie die Hunnen unter König Etzel
wüten, damit »es niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel
anzusehen«. Schuld am ganzen Theater ist auch, dass es keine deutsche
Außenpolitik mehr gibt. Darin bin ich einer Meinung mit einem prominenten
Politiker, dessen Namen ich Ihnen aber nicht
verrate.
• Publikationen in
Deutschland verbreiten Furcht: »Chinas Aufstieg - Deutschlands
Abstieg«, »Gelbe Spione«. Das klingt schon wie »Die Gelbe Gefahr«. Ist die Angst begründet?
Unsinn.
Deutschland ist immer noch
Exportweltmeister. Warum missgönnt man China den Aufstieg? Was ist gegen ein ehrgeiziges Volk
zu sagen? Seit ich 1972 das erste Mal in
China war, hat sich das Land
gewaltig verändert, ist Gigantisches
vollbracht worden. Die Mehrheit der Chinesen wertet, trotz allen Leids vergangener Jahrzehnte, die Entwicklung seit 1949, vor
allem mit den Reformen unter Deng Xiaoping,
positiv. Dem verdanke sich Chinas
Modernisierung. Statt kaiserliche
Arroganz nachzuahmen, sollten wir es mit Leibniz halten, der neugierig
nach China blickte. Weil er, wie Voltaire, dort eine auf Friedfertigkeit,
Toleranz und Achtung des Wortes der Gelehrten
basierende Ordnung zu erkennen
glaubte.
• Aber
China war und ist kein Utopia. Auf dem Platz des Himmlischen
Friedens gab es vor 20 Jahren
keinerlei Toleranz.
Ja, hätte der
Westen 1989 lieber gesehen, wenn das Land in einen Bürgerkrieg fällt? Wenn die Konterrevolution marschiert wäre?
Dort Zustände eingezogen wären, wie sie in Russland Gorbatschow herbeiführte, der Experte für Chaosstiftung und Staatsauflösung? Ich war auf dem Tiananmenplatz, zwei Tage nach der gewaltsamen Auflösung der
Belagerung. Ich hatte Sympathien für die
jungen Idealisten, die sich im Namen
der Freiheit in ein Abenteuer gestürzt haben. Inzwischen ereigneten sich zwischen
Algier und Bogota viel grausamere Tragödien, die man nicht immer wieder aufbauscht.
• Und wie ist es mit der
Toleranz in Tibet bestellt?
Der Aufruhr
vor den Olympischen Spielen, die
Brandschatzung chinesischer Geschäfte
und die Übergriffe, die auch die
muslimische Minderheit der Hui trafen, waren
Ergebnis präziser Planung.
• Wessen? Des Dalai Lama?
Das will
ich nicht behaupten. Aber zweifellos durch tibetische Exilorganisationen
initiiert, unter Mitwirkung ausländischer
Geheimdienste und exzentrischer Figuren des amerikanischen Showgeschäfts. Der Dalai Lama wird benutzt, um gegen die Han-Chinesen und Peking zu hetzen.
• Wenn man Sie so reden
hört, könnte man denken, Sie sind ein »Kommunistenfreund«
geworden?
Es geht nicht um Ideologie, Rotgardisten oder Weißgardisten. Ich wundere mich
allerdings, dass heute ausgerechnet jene Chinas Kommunisten belehren
wollen, die vor nicht allzu langer Zeit das Abzeichen des »Großen Steuermanns« am Revers trugen und auf dessen Rote
Bibel schworen.
• Ihr neues Buch befasst sich mit der »Angst des Weißen Mannes«. Ist das nicht eine überzogene Behauptung?
Nein. Seit dem Zweiten Weltkrieg sieht sich der Westen globalen Machtverschiebungen
ausgesetzt, denen man schon aus demografischen Gründen nicht gewachsen ist. Dem »Weißen Mann« ist vor allem das Monopol industrieller und militärischer Überlegenheit abhanden gekommen, auf das er bisher seinen
imperialen Anspruch gegründet hat.
• Das
ist doch nicht schlecht?
Sage ich auch nicht. Dem »Weißen Mann« fällt es aber schwer, sich
mit der geschwundenen Macht und dem geschwundenen Prestige abzufinden.
• Darf auch deshalb Iran
keine Atombombe haben?
Das ist
wieder so ein Zirkus. Auch hier hinken die Deutschen hinterher. Die Amerikaner sind gar nicht so scharf darauf, sich mit Teheran anzulegen. Die Russen
haben sowieso ein gutes Verhältnis zur
Islamischen Republik Iran. Und ein Universitätsprofessor in Israel sagte
mir: »Wenn ich Iraner wäre, würde ich auch die Atombombe haben wollen. Nicht um
sie abzuwerfen, sondern als Abschreckung«. Dass Pakistan im Besitz der
Atombombe ist, finde ich sehr viel
gefährlicher.
• Weil
Pakistan ein Pulverfass ist?
Der
traditionelle Verbündete der USA ist ein unsicherer Kantonist, latent
gefährdet, in den Bürgerkrieg abzugleiten, in die Hände islamistischer
Fundamentalisten zu fallen…