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Frank Castorf über den Eichinger-Film „Der Untergang“
Heute beschäftigt uns das Thema „Untergang". So
etwas kommt immer wieder vor. Eine Firma geht bankrott. Eine Beziehung bricht
auseinander. Jemand fällt zum dritten mal durch die Fahrprüfung. Ein Mensch
wird damit konfrontiert, dass er unheilbar krank ist und nur noch kurze Zeit zu
leben hat. Die aus solchen Ereignissen resultierenden Untergänge haben, wenn
man sie abstrakt genug betrachtet, viele gemeinsame Merkmale, die sich untersuchen
lassen, etwa indem man verschiedene Phasen des Untergangs unterscheidet: Schock,
Hoffnungslosigkeit, ohnmächtige Wut, das Suchen der Schuld bei anderen, Flucht
in illusorische Rettungsfantasien, am Ende Ergebenheit in das Schicksal bis
hin zu völliger
Gleichgültigkeit oder schließlich auch Selbstmord als letztmöglicher freier
Akt.
Der Film „Der Untergang", der die deutschen Kinocharts anführt,
ist kein Film über das Ende des dritten Reiches oder des zweiten Weltkriegs,
dem ein nie da gewesener Zivilisationsbruch vorausging, sondern die pure Illustration
solcher Untergangsstrukturen an einem filmtypisch besonders monströsen
Beispiel. „Der Untergang" wird abgehandelt als allgemein menschliches Thema, so wie man auch „Die Geburt" „Die Liebe"
oder „Das Alter" abhandeln könnte. Das Vertraute im Fremden zu erblicken
ist das Erfolgsprinzip solcher Themenfilme, die im deutschen Fernsehen sehr
beliebt sind. Ob Hitler die Hauptperson ist oder ein gescheiterter Unternehmer
oder ein unheilbarer Patient ist gleichgültig. Natürlich nimmt man Hitler
gerne, weil hier die Fallhöhe und der internationale Aufmerksamkeitsfaktor
größer ist. Was aber im Filter der Fernsehdramaturgie dieses Filmes dabei
herauskommt, sind die bekannten Allgemeinplätze im mäßig gewagten Ambiente eines
Kriegsendes.
Die „Menschendarsteller" in
diesem Film, die sich allesamt redlich mühen, den Rahmen des empfundenen
Klischees an keiner Stelle zu sprengen und sich damit für weitere große und
verantwortungsvolle Aufgaben im Filmgeschäft zu qualifizieren, reduzieren die
historischen Ereignisse auf ein Kompendium menschlichen Verhaltens in
Extremsituationen, wie es schon in vielen Filmen zu sehen war. Durch den Film
ist uns „Hitlers langer Schatten" nicht „näher gerückt". Er hat sich
vielmehr aufgelöst in ein paar jener austauschbaren Elemente, die das Erfolgskino
ausmachen und die nach dessen altbewährten Rezepten immer wieder neu kombiniert
werden. Was nicht in den Koffer passt, wird abgeschnitten. Was übrig bleibt,
ist nichts als das standardisierte Menschenbild westlicher Kinounterhaltung
zwischen Gut und Böse, Erfolg und Niederlage.
Im Vergleich zum professionellen Leerlauf
Bernd Eichingers, der „stolz ist ein deutscher Hitlerfllmproduzent zu
sein", ist Christoph Schlingensiefs verzweifelter in 20 Stunden gedrehter
Film „100 Jahre Adolf Hitler - Die letzte Stunde im Führerbunker" von
1988 ein Meisterwerk. Wenn man sieht, wie gut organisierte rechtsradikale
Organisationen in die Parlamente einziehen und wie die Flick-Ausstellung mit
dem Segen des Kanzlers aber ohne Würdigung der Zwangsarbeiter eröffnet wird,
die sie damals mit ihren „Ein-Euro-Jobs" finanziert haben und wenn man dann
noch in diesem allseits bejubelten, geschichtsvergessenen „Untergang" sitzen
muss, möchte man nur noch schreien. „Mama, bring mich weg von hier."
In:
„Berliner Zeitung“ vom 25./26. September 2004