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Ödön von Horváth:
Jugend ohne Gott
(verfasst von Wolfgang Wallner-F.
www.wolfgangwallnerf.com)
Autor: Geboren 9.12.1901 in
Fiume, gestorben 1.6.1938 in Paris. Österr. Schriftsteller. Diplomatensohn aus
ungar. Kleinadel. Studierte Philosophie, Germanistik, Theaterwissenschaft in
München, 1923 freier Schriftsteller in Murnau/Staffelsee, emigrierte 1934 nach
Wien und Henndorf bei Salzburg. 1938 nach Paris, dort von stürzendem Ast
erschlagen.
Gesellschafts- und
moralkritischer Dramatiker und Erzähler vom realistischen Stil mit einer
zwischen aufgelockertem Humor, moralischem Ernst und bitterer Satire spielenden
Grundstimmung. Pädagogisch aufklärerische Zeit- und Volksstücke aus dem
Alltagsleben einfacher Leute demaskieren falsches Bewusstsein, moralische
Fehlhaltungen und hintergründige Bösartigkeit des Kleinbürgertums in scharf
gezeichneten Figuren innerhalb eines fast naturalistischen Milieus bis hin zur
tragikomischen Groteske. Romane um das Wesen der Diktatur.
Vorführung von
Fehlverhalten aus mangelnder Vernunft und privater Notwendigkeit. Horváth hielt
nichts von Weltanschauungen, er notierte, was um ihn herum sich abspielte. So
wurde er zum Chronisten der nationalen Festigung, der sozialen Zersetzung, der
nationalsozialistischen Radikalisierung. In scheinbarer Gemütlichkeit enthüllt
er eine gesellschaftliche Fehlentwicklung: „Ich habe kein andres Ziel als dies:
Demaskierung des Bewusstseins. Keine Demaskierung eines Menschen, einer Stadt,
das wäre ja furchtbar billig!“
Vertreter des psychologischen Realismus.
Werke:
Dramen:
Geschichten aus dem Wienerwald; Italienische Nacht; Kasimir und Karoline;
Glaube, Liebe Hoffnung; Figaro lässt sich scheiden; Der jüngste Tag; Don Juan
kommt aus dem Krieg; Die Unbekannte aus der Seine.
Romane:
Der ewige Spießer; Ein Kind unserer Zeit; Jugend ohne Gott; Sportmärchen.
Jugend ohne Gott
Roman
(1937)
Protagonisten:
Der Lehrer (und
Erzähler)
Die Schüler B., N., T.
und Z.
Julius Cäsar (ein
pensionierter Kollege des Lehrers)
Eva, eine Diebin
Der Pfarrer
Die Handlung spielt ungefähr in der Zeit der Entstehung des
Romans
Inhalt
Der
vierunddreißigjährige Lehramtskandidat eines städtischen Gymnasiums wollte
lieber Lehrer als Arzt werden, lieber als Kranke heilen, wollte er den Gesunden
etwas mitgeben, einen winzigen Stein für den Bau einer schöneren Zukunft.
Er unterrichtet
Geographie und Geschichte und korrigiert Aufsätze. Das von der Aufsichtsbehörde
vorgeschriebene Thema lautet: Warum müssen wir Kolonien haben? In den Aufsätzen
bringen die Schüler hohle Phrasen, die sie im Radio gehört haben, aber was im
Radio gesprochen wird, darf ein Lehrer nicht korrigieren. Der Schüler N.
schreibt, dass alle Neger hinterlistig, feig und faul sind. Der Lehrer lässt
den Satz stehen. Bei der Rückgabe der Hefte an die Schüler, sagt der Lehrer zum
Schüler N.: „Du schreibst, dass wir Weißen kulturell und zivilisatorisch über
den Negern stehen, und das dürfte auch stimmen. Aber du darfst doch nicht
schreiben, dass es auf die Neger nicht ankommt, ob sie nämlich leben können
oder nicht. Auch die Neger sind doch Menschen“. Der N. schaut den Lehrer starr
an und nimmt sein Heft mit der guten Note.
Am nächsten Sprechtag kommen
die Eltern, Arbeiter sind keine darunter, so auch der Vater des N., ein
Bäckermeister, der behauptet, seit frühester Jugend nach Gerechtigkeit zu
streben, wegen der Worte des Lehrers über die Neger ihm Sabotage am Vaterland
und die Unterhöhlung unschuldiger Kinderseelen mit dem Gift der
Humanitätsduselei vorwirft und schwerwiegende Folgen in Aussicht stellt. Zwei
Tage später macht der Direktor den Lehrer auf dessen Pflicht und das
Rundschreiben 5679 u/33 aufmerksam, nachdem die Erzieher von der Jugend alles
fernhalten müssen, was nur in irgendeiner Weise deren zukünftige militärische
Fähigkeiten beeinträchtigen könnte. Die Lehrer müssen moralisch zum Krieg
erziehen. Der Direktor möchte nicht dem Zeitgeist widersprechen, da er die
Altersgrenze erreichen und die volle Pension beziehen will.
In der nächsten
Unterrichtsstunde bekommt der Lehrer einen Brief, den alle Schüler
unterzeichnet haben. In diesem wird dem Lehrer mitgeteilt, dass sie nicht mehr
von ihm unterrichtet zu werden wünschen, denn nach dem Vorgefallenen haben die
Endunterzeichneten kein Vertrauen mehr in den Lehrer. „Dies nur, weil sie nicht
vertragen können, dass ein Neger auch ein Mensch ist“, denkt der Lehrer, „denn
Recht ist, was der eigenen Sippschaft frommt, sagte das Radio“.
Nach dem achten Schnaps
in einer Bar kommt Julius Cäsar, ein pensionierter Altphilologe zu dem Lehrer
und versucht ihn zu trösten, da nicht alle Schüler nur die Meldungen des Radios
abschreiben, manche lesen sogar selbst. Er kenne einen Buben der ein streng
verbotenes Buch gelesen hat: „Über die Würde des menschlichen Lebens“.
Wie seit drei Jahren
von der Aufsichtsbehörde erlassen, bezieht die Mittelschule nach Ostern ein
Zeltlager, um eine vormilitärische Ausbildung - auch im Schießen auf
Schießscheiben von hölzernen Soldaten in fremder Uniform - durch in Ruhestand
befindliche Unteroffiziere zu erhalten. Die Schüler sind davon begeistert, und
auch die Lehrer spielen gerne Indianer. In der dem Zeltlager nahe liegenden
Gemeinde gab es das größte Sägewerk des Bezirkes, das aber aus
Rentabilitätsgründen geschlossen wurde. Dadurch wurden viele Menschen
arbeitslos, die halben Einwohner des Dorfes leben jetzt von Heimarbeit mit
einem unerhörten Schundlohn, ein Drittel der Kinder ist unterernährt. Der
Pfarrer der Ortschaft macht den Lehrer darauf aufmerksam, dass in einem Schloss
nicht weit entfernt, eine Mädchengruppe einquartiert ist, und die Buben des
Lagers eher nicht mit dieser in Kontakt treten soll. Der Lehrer sieht am
nächsten Tag die Mädchen, die verschwitzt Soldatenlieder singend keinen
erfreulichen Anblick bieten. Die Mädchen üben „Verschollenen-Flieger-suchen“,
da „Weiber ja leider nicht an die Front kommen“. Bei diesem Spiel beobachtet
der Lehrer zwei Mädchen, die sich traurig darüber unterhalten, dass sie sich nicht
waschen und kämmen können, auch die Lehrerin hätte neulich geweint, sagt eines
der Mädchen und: „Mama sagt immer, die Männer sind verrückt geworden und machen
die Gesetze“.
Der Lehrer beobachtet
auch zwei Buben und ein Mädchen aus der Gegend, die mit List einer alten,
blinden Frau einen Laib Brot stehlen.
Zu Besuch beim Pfarrer
erklärt Ihm dieser seine Moral, nachdem die Gesellschaft eine neuartige
Kontrolle des Besitzes benötigt, um solche Armut zu verhindern. Der Lehrer ist
überrascht, da er bisher dachte, die Kirche stünde immer auf der Seite der
Reichen, was der Pfarrer bestätigt, da die Kirche dazu gezwungen sei. Denn es
gibt immer Werte, von denen einige Leute mehr als die anderen haben, da der
Staat immer von den Reichen regiert wird und die Kirche die Pflicht hat, auf
Seiten des Staates zu stehen, steht sie auf der Seite der Reichen. Nicht die
staatliche Ordnung ist gottgewollt, wohl aber der Staat, denn ein solcher
Zusammenschluss ist natürlich, also gottgewollt. „Die Reichen werden immer
siegen“ , sagt der Pfarrer „denn sie sind die Brutaleren, Niederträchtigeren
und Gewissenloseren“. Die Unterhaltung endet mit der Aussage des Pfarrers, dass
Gott das Schrecklichste der Welt sei, da er die Menschen wegen ihres freien
Willen straft.
Als im Zeltlager trotz
nächtlicher Bewachung ein Fotoapparat gestohlen wird, überprüft auch der Lehrer
die Nachtwache und sieht den Schüler Z., als dieser von einem fremden Jungen
einen Brief erhält. Der Lehrer will diesen Brief unbedingt lesen und erfährt
von einem Schüler, der mit Z. und dem Schüler N.(dessen Vater der Bäckermeister
ist) in einem Zelt zusammen ist, dass Z. in einem versperrbaren Kästchen sein
Tagebuch aufbewahrt. Z. und N. raufen immer, da N. nicht will, wenn man über
etwas nachdenkt, eine Tätigkeit, der Z. beim Schreiben in seinem Tagebuch
nachkommt. Aus diesem Grund hat ihm N. auch schon einmal sein Kästchen
zertrümmern wollen.
Als der Lehrer im Lager
alleine ist, sucht er im Zelt des N. und Z. Dort findet er zunächst einen Brief
an N. von dessen Eltern. Der Vater des N. fordert N. auf, ihm jede Bemerkung
des Lehrers, die ähnlich der über die Neger wäre, zu sagen, da er beabsichtigt,
dem Lehrer „das Genick zu brechen“. Außerdem ist der Kanarienvogel gestorben:
„..Und heute war er hin. Die Beinchen hat der Ärmste von sich gestreckt, ich
habe ihn im Herdfeuer verbrannt. Gestern hatten wir einen herrlichen Rehrücken
mit Preiselbeeren. Wir dachten an Dich...“.
Der Lehrer öffnet mit
einem Draht das versperrte Kästchen und findet dort Z`s Tagebuch. Darin schreibt
Z., dass er die Kinder, die der alten Frau das Brot gestohlen haben, getroffen
hat. Er war dann mit dem Mädchen, das Eva heißt alleine im Wald und sie haben
sich geküsst und geliebt. Eva hat ihm auch erzählt, dass sie eine „verlorene
Seele“ wäre, da sie keine Eltern hätte, aus einer Besserungsanstalt entflohen
sei und jetzt in einer Höhle von Diebstählen lebt. Die letzte Eintragung im
Tagebuch lautet: „ Oh Eva, ich werde immer für dich da sein! Du kommst in keine
Besserungsanstalt mehr... ich werde dich immer beschützen! Der N. schreit, er wird mein Kästchen
zertrümmern, morgen, er soll es nur wagen! Denn hier sind meine innersten
Geheimnisse drinnen, die niemand was angehen. Jeder, der mein Kästchen anrührt,
stirbt!“
Als Z. bemerkt, dass
sein Kästchen aufgebrochen ist, meint er, es wäre der N. gewesen und schlägt
ihn. N. beteuert dem Lehrer gegenüber es nicht gewesen zu sein, und der Lehrer
verspricht ihm zu helfen , sagt aber nicht, dass er selbst der Neugierige
gewesen war. Als er sich über die Lage Gedanken macht, bemerkt er den Schüler
T., der ihn prüfend mit Augen die an einen Fisch erinnern ansieht, als ob er
über den wahren Täter Bescheid wisse.
Z. hat Nachtwache und
unbemerkt schleicht der Lehrer zu ihm um die Wahrheit zu sagen. Da sieht er, dass
Eva zu Z. gekommen ist, die beiden küssen sich. Die Nacht wird immer dunkler
und der Lehrer beschließt zurückzukehren. Er will morgen mit Z. sprechen. Als
er sich weitertastet, greift er in ein Gesicht, erkennt aber nicht, wer es ist.
Am nächsten Tag bevor
der Lehrer noch die Wahrheit erzählen kann, behauptet Z., dass N. ihm die Tat
gestanden, er ihm aber verziehen habe.
N. ist verschwunden.
Beim Abbrechen des Zeltlagers am darauf folgenden Tag, finden zwei Waldarbeiter
den Z., der tot, mit klaffender Kopfwunde in einem Graben liegt. Z. ist mit
einem Stein aus nächster Nähe erschlagen worden. Als der Junge, der mit N. und
Z. in einem Zelt schlief der Mordkommission mitteilt, dass die beiden immer
miteinander gerauft haben, gesteht Z. den Mord.
Die Zeitungen berichten
über die Sensation. Auch ein Interview mit dem Lehrer ist abgedruckt. Darin
steht, dass der Lehrer nicht meint, der Grund der Tat liege in einer etwaigen
gewissen Verrohung der Jugend, da sich Z. immer gut verhalten hatte und die
Jugend überhaupt dank der allgemeinen Gesundheit äußerst pflichtbewusst,
aufopferungsfreudig und absolut national sei. Die Präsidentin des Verbandes
gegen Kinderverwahrlosung fordert in einem Artikel angesichts der sozialen Not
endlich bessere Besserungsanstalten zu bauen. Der Bäckermeister N., der Vater
des Toten, gibt dem Aufsichtspersonal und da dem Lehrer die Schuld. Er fordert
eine Durchsiebung des Lehrpersonals um diese getarnten Staatsfeinde eliminieren
zu können. Die Mutter des Z., die Witwe eines Universitätsprofessors,
verweigert den Zeitungen ihre Meinung. Der Anwalt des Z. behauptet, dass Z.
nicht der Mörder sei sondern nur das Mädchen Eva decke, der er hörig wäre, und
die wegen der Diebstähle auch in Haft ist.
Vor allem die Damenwelt
wartet auf den Prozess, „vernachlässigt und elegant, waren sie geil auf
Katastrophen, von denen sie kein Kind bekommen konnten. Sie lagen mit dem
Unglück anderer Leute im Bett und befriedigten sich mit einem künstlichen
Mitleid“.
Befragt über das
Lagerleben erzählt Z. bei der Verhandlung, dass ihm die Ansichten des Lehrers
zu jung waren, da er immer nur sagte, wie es auf der Welt sein sollte, nie aber
wie es wirklich war. Über die Tat erzählt er, er hätte N. auf einem Felsen bei
einem Kriegsspiel getroffen. Als N. wieder leugnete das Kästchen erbrochen zu
haben, hätte er ihn aus Wut mit einem Stein erschlagen. Außerdem will er von
seinem Anwalt, der weiter vermutet das Mädchen wäre die wirkliche Täterin,
nicht mehr verteidigt werden, da er für seine Tat bestraft werden möchte.
In einer
Verhandlungspause trifft der Lehrer ein uraltes Ehepaar. Die Frau geht zu einem
Metzger um Geld zu wechseln, der Lehrer ist mit dem Alten alleine. Der Lehrer
fühlt in dieser Situation eine Bedeutung und sagt: „Wenn man nur wüsste, wo
Gott wohnt“. „Er wohnt überall, wo er nicht vergessen wurde. Er wohnt auch bei
uns, denn wir streiten nie“ antwortet der Alte, doch die Stimme war nicht die
Stimme des Alten, jemand anderer sprach zum Lehrer: „Wenn du als Zeuge aussagst
und in meinem Namen schwörst, dann verschweige nicht, dass du das Kästchen
erbrochen hast“. Die Bedenken des Lehrers, dass er dann bestraft wird, seine
Stellung und sein Brot verliert werden ignoriert: „Du musst es verlieren, damit
kein neues Unrecht entsteht. Sage es, dass du das Kästchen erbrochen hast. Tu
mir den Gefallen und kränke mich nicht wieder“.
Als der Prozess
weitergeht, verteidigt Z. Eva gegenüber
Angriffe seiner Mutter. Er erinnert an eine Situation als Z. noch klein war und
ein von der Mutter tyrannisiertes Hausmädchen im Haus gestohlen hatte um
endlich diese Familie verlassen zu können. Das Hausmädchen kam in eine
Besserungsanstalt und so ein Mädchen sei auch seine Eva.
Im Zeugenstand blickt
sich der Lehrer um und sieht Eva. Er gibt an, dass er das Kästchen erbrochen
hatte. Der Bäckermeister brüllt, dass der Lehrer seinen Sohn auf dem Gewissen
habe und er Gott fürchten soll. Aber gerade jetzt fürchtet sich der Lehrer
nicht mehr vor Gott.
Als Eva einvernommen
wird, sagt sie, dass Z. nicht der Täter ist. Sie wollte, da N. stärker war, dem
Z. zur Hilfe kommen und hat N. mit einem Stein verfolgt. Deswegen glaubt Z.,
dass sie die Mörderin sei. Doch ein fremder Junge, der Augen wie ein Fisch hat,
entriss ihr den Stein, lief N. nach und hat ihn erschlagen. Wenn der Lehrer
nicht die Wahrheit gesagt hätte, hätte sie auch nicht die Wahrheit erzählt,
nebenbei sagt Eva, dass sie Z. nie geliebt hatte. Als der Lehrer die
Beschreibung der Augen des fremden Jungen hört, denkt er an T., kann aber für
T. kein Tatmotiv erkennen. Das Gericht aber glaubt nun an die Schuld des
Mädchens.
Tags darauf trifft der
Lehrer T., der behauptet, an die Schuld Evas zu glauben. T. gibt aber an, der
Junge gewesen zu sein, dem der Lehrer in der Nacht als er Z. und das Mädchen
beobachtet hatte, ins Gesicht gefasst hat.
Eines morgens, an
Hitlers Geburtstag, aus diesem Grund ein Feiertag, kommt der Schüler B. zum
Lehrer. Er glaubt auch, dass der fischäugige T. der Mörder sei, da dieser
entsetzlich wissbegierig ist und einmal gesagt hat, er möchte gerne sehen, wie
einer stirbt. B. hat mit drei anderen Schüler einen Klub gegründet. Die vier
haben seinerzeit zwar auch den Brief mit der Forderung nach Absetzung des
Lehrers unterschrieben, aber dann herausgefunden, dass die Ansicht des Lehrers
über Neger doch richtig gewesen war. Die vier sitzen immer zusammen, lesen
verbotene Literatur und diskutieren darüber. „Der Lehrer sei der einzige
Erwachsene, der die Wahrheit liebt“, denken sie.
Der Lehrer verliert
wegen seiner Aussage seine Arbeit, da kommt der Pfarrer zu ihm auf Besuch,
bietet eine Stellung in Afrika an und empfiehlt, die Mutter T´s zu besuchen.
Diese wohnt im Villenviertel der Stadt, hat aber keine Zeit.
Julius Cäsar will bei
der Überführung des T´s mithelfen. Er engagierte eine Dirne, die bereits T.
verführt hatte. In einer Bar will man T. betrunken machen, damit er einschläft.
Die Dirne Nelly soll sich auf den Boden legen und tot stellen. Cäsar will dann
in das Zimmer stürmen, nach der Polizei rufen und behaupten, T. hätte Nelly im
Rausch umgebracht und Cäsar meint, dass T. sich dann verrät. Aber zum
vereinbarten Treffen mit Nelly erscheint T. nicht.
Mitten in Nacht läutet
die Kriminalpolizei den Lehrer aus dem Bett und führt ihn in die Villa der
Familie T. Dort kreischt die Mutter, dass der Lehrer ihren Sohn in den Tod
getrieben hat. Als die Mutter vor einer Stunde nach Hause kam, fand sie einen
abgerissenen Zettel, auf dem stand: „Der Lehrer trieb mich in den Tod“. T.
selbst hat sich im Garten erhängt.
Der Lehrer erzählt von
einem Sägewerk, das nicht mehr sägt und von hungernden Kindern. Was das mit T´s
Tod zu tun hat, fragt ein Beamter. Die Mutter wimmert und schreit: „Gott“, „Es
hat keinen Sinn“ und „es sägt und sägt“. Sie bricht zusammen und verliert den
zweiten Teil des abgerissenen Zettel. Und hier schrieb T. warum er in den Tod
getrieben wurde: „denn der Lehrer weiß es, dass ich den N. erschlagen habe. Mit
dem Stein-“.
Der Lehrer hört wieder
die Stimme: „Sage es, dass du das Kästchen erbrochen hast. Tu mir den Gefallen
und kränke mich nicht“.
Die Mutter gibt an,
dass sie sich die Schande ersparen wollte, aber als der Lehrer die Kinder
erwähnte, dachte sie, es hätte doch keinen Sinn.
Z. wird freigelassen.
Der Lehrer erhält einen Brief der vier Schüler. „Schönen Gruß an die Neger. Der
Klub“.
Der Lehrer wird morgen nach Afrika fahren. Er
wird darauf achten, ja nichts zurück zu lassen.
Der Neger fährt zu den
Negern.
Interpretation
Horváth lässt die
Geschichte von einem Lehrer in „Ichform“ erzählen. Die Handlung spielt im Deutschland
der Zwischenkriegszeit, Hitler hat die Macht übernommen. Durch eine für die
damalige Zeit beispiellose Propagandamaschinerie (Radio), wird von den
Nationalsozialisten die Meinung des Volkes beeinflusst. Diese Art der Werbung
fällt im Deutschland der Zwischenkriegszeit auf nährreichen Boden; Deutschland
hat den ersten Weltkrieg verloren, durch Kapitalsinteressen werden immer mehr
Menschen arbeitslos, der Deutsche fühlt sich minderwertig und wird nun durch
die Werbung als Herrenmensch bezeichnet. Durch die Phrasen der
Nationalsozialisten wird der Boden für ein totalitäres Regime erfolgreich
vorbereitet.
In seinem Roman „Jugend
ohne Gott“ zeichnet Horváth ein erschütterndes, dichtes und auch
fesselnd-spannendes Bild dieser Gesellschaft, meint aber, dass durch einen
Durchbruch zur Wahrheit eine Folgeerscheinung ausgelöst werden kann, die eine
Wende hervorrufen könnte.
Als im Roman der Lehrer sich zur Wahrheit
entschließt, gibt er ein Beispiel für andere, die Wahrheit pflanzt sich fort
und gibt letztendlich der Geschichte eine positive Wendung. Der Lehrer, der
eigentlich durch die Verschweigung seiner Tat (Aufbrechen des Kästchens) erst
die weitere Entwicklung ermöglicht, sieht die Folgen des Schweigens, lernt
daraus und ändert seine Handlungsweise. (Hätte der Lehrer gleich die Wahrheit
gesagt, wäre der Streit zwischen N. und Z. nicht eskaliert, es wäre beim
Kriegsspiel zu keinem Raufhandel gekommen, Eva hätte nicht eingreifen müssen
und T. wäre es nicht möglich gewesen, N. mit dem Stein zu verfolgen und zu
töten).
Der Schüler N. ist ein Kind, das
vollkommen den Werbungen der Medien unterliegt. Sein Vater, der Bäckermeister unterstützt die (von den Medien
übernommene) Meinung des Schülers, nach der Neger (also Menschen einer anderen
Rasse) keine Menschen wären. Dem Schüler ist es auch suspekt, dass Menschen
denken und sich der gängigen Meinung dadurch entziehen könnten (Schreiben eines
Tagebuches). Er ist aber ein emotionaler Mensch und als solcher unterliegt er
seinem Mörder, der die Philosophie seiner Zeit mit kaltem Wissensdurst
verfolgt.
Der Schüler Z., Sohn eines
Universitätsprofessors, zeigt im Roman ein soziales Bewusstsein. Er vergleicht
die Diebin Eva mit einem Hausmädchen aus seiner Kindheit, die, schlecht
behandelt, einen Diebstahl begeht und so wie Eva in eine Besserungsanstalt
kommt. Für ihn ist Eva ein unschuldiges Opfer ihrer Umwelt, außerdem liebt er
sie. Seinem Ehrempfinden gemäß ist er bereit, für Eva zu sterben, die er für
die Mörderin hält.
Der Schüler T., der Mörder, Sohn
eines Fabrikanten (möglicherweise des Besitzers des geschlossenen Sägewerkes),
verkörpert die Figur des gewissenlosen Wissenschaftlers, der aus Wissensdurst
heraus menschenverachtend handelt.
Wahrscheinlich ist dieser Typus des Wissenschaftlers ein Kennzeichen einer
totalitären (auch totalitär aus kapitalistischen Gründen) Gesellschaft. Er
entzieht sich aber der Verantwortung, indem er Selbstmord begeht.
Die Diebin Eva ist durch das
Gesellschaftssystem geschädigt. Sie ist arm und lebt zusammen mit anderen
Kindern von Gelegenheitsdiebstählen. Da sie keine Eltern hat, ist sie auch
gefühlsmäßig verarmt. Sie liebt den Schüler Z. nicht, schläft aber trotzdem mit
ihm um in der Nacht leichter ins Zeltlager zu kommen und stehlen zu können. Sie
ist auch erst nach dem Beispiel des Lehrers bereit, die Wahrheit zu sagen und
dadurch den Schüler Z. von der drohenden Verurteilung zu retten. Sie ist
gezwungen, ihren Körper zu verkaufen um zu überleben.
Der Pfarrer verkörpert die Stellung
der Kirche. Zwischen der Kirche und dem nationalsozialistischen deutschen Staat
bestand ein Konkordat, das von der katholischen Kirche ursprünglich begeistert
aufgenommen wurde. Doch gab es in der Zeit, in der der Roman handelt immer mehr
Priester, die diese Begeisterung nicht mehr teilten. Der Pfarrer im Roman
handelt sozial, aber seine offizielle Meinung ist die der Staatsführung. Würde
er nicht so handeln, hätte er auch keine Möglichkeit seinem sozialen
„Sendungsbewusstsein“ nachzukommen.
Horváth selbst hat den
Ausbruch des zweiten Weltkrieges nicht mehr miterlebt. Obwohl er den Roman gut
enden lässt und seine Hoffnung darin besteht, dass durch ein Aussprechen der
Wahrheit Beispielswirkung erzielt werden kann, die eine Wendung der
Gesellschaft bewirken könnte, ahnt er scheinbar, dass für Menschen, die aus den
herrschenden Gegebenheiten lernen (wie der Lehrer), es keine andere Möglichkeit
geben wird, als das Land zu verlassen, wie dies auch der Lehrer tut. Mit dieser
Ahnung hat Horváth auch Recht gehabt, wie die Geschichte zeigt.