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Ein Zipfel Wahrheit

 

In der „jungen welt“ vom 22. August 2014 erschien ein Interview mit Generaloberst Wladimir Ruban, dem Kiewer Beauftragten für den Austausch von Gefangenen im Bürgerkrieg in der Ukraine (vom 20. August in der „Ukrainskaja Prawda“). Der Mann redet Tacheles. Hier ein kurzer Ausschnitt, in dem er über die Aufständischen in den Volksrepubliken Donezk und Lugansk spricht.

 

Ruban: Für mich sind diese Menschen dort keine Fein­de. Ihnen (gemeint ist die fragende Journalistin) fällt das leicht, sie aus Ihrer Position als Feinde zu betrachten. Aber ich kenne diese Leute seit langem. Unter ihnen sind Offiziere, Afghanistan-Veteranen, mit denen wir gemeinsam gegen (den geputschten Präsidenten Wiktor; jW) Janukowitsch protestiert haben. Dort gibt es Leute, mit denen wir auf dem Maidan gestanden haben. Auf dem Euromaidan. Aber wir haben ihn nicht so genannt.

Journalistin: Was meinen Sie mit »dort«?

Ruban: Auf der anderen Seite. Die mit den Georgsbändchen, in den Volksrepubliken Donezk und Lugansk.

Journalistin: Diese Leute haben also mit Ihnen auf dem Maidan gestanden?

Ruban: Ja, und jetzt kämpfen sie gegen die ukrainische Armee. Es gibt jetzt zwei Seiten.

Journalistin: Aber warum tun sie das?

Ruban: Und warum hat der »Rechte Sektor« »das« auf dem Maidan getan? Oder warum haben die Leute auf dem Maidan gestanden?

Journalistin: Wenn sie auf demselben Maidan waren, warum stellen sie sich jetzt gegen dieselben Menschen, mit denen sie Seite an Seite gestanden haben?

Ruban: Weil die Leute, die auf dem Maidan waren, sich mit der Absetzung Janukowitschs zufriedengege­ben haben. Weiter ist bisher keine einzige Forde­rung von damals erfüllt worden. Und die Leute im Donbass haben entschieden, bis zum Schluß zu kämpfen. Ihnen hat es nicht gereicht, daß Janu­kowitsch weg war, sie wollen reale Veränderungen im Land. Die meisten Punkte, die sie fordern, sind dieselben, die auch auf dem Maidan vorgetragen wurden.

Journalistin: Das sieht aber ganz anders aus.

Ruban: Dafür muss man sich bei den Journalisten bedan­ken und bei all den anderen, die sie als Terroristen verschrien haben. Auch diejenigen, die sich den Begriff »Antiterroroperation« haben einfallen las­sen, statt »Krieg« zu sagen.

Journalistin: Aber Russland erkennt das nicht als Krieg an...

Ruban: Was hat Russland damit zu tun?

Journalistin: Sind Sie etwa der Meinung, Russland sei an diesem Konflikt nicht beteiligt?

Ruban: Haben Sie dort russische Truppen gesehen?

Journalistin: Ich habe Soldaten aus Russland gesehen.

Ruban: Haben Sie die Beteiligung russische Truppen gesehen?

Journalistin: Offiziell nicht.

Ruban: Sie werden sie auch inoffiziell nicht sehen, weil es dort keine gibt. Und sogar, wenn Sie irgendeinen Russen oder irgendeinen Soldaten gesehen haben, ist das noch keine Beteiligung Russlands.

Journalistin: Wie soll man das denn sonst nennen?

Ruban: Wie Sie wollen. Wissen Sie, dass auf beiden Seiten Söldner kämpfen?

Journalistin: Ja.

Ruban: Auf beiden Seiten. Auf der ukrainischen und auf der Lugansker und Donezker Seite… Es gibt so einen traurigen Witz: „Russland kämpft mit Amerika bis zum letzten Ukrainer.“ Das kommt der Wahrheit sehr nahe. Aber das ist Geopolitik, und da werden die Entscheidungen ganz woanders getroffen…

 

 

Berlin, 23. August 2014