Exklusiv für www.holzauge.de

 

 

Wolfgang Wallner F.

 

 

 

Teurere Handelswege – weniger Arbeitslose?

 

Ferdinand Niehammer (Österreich) sprach exklusiv für das Internet-Magazin Holzauge mit Wolfgang Wallner F., dem Autor des Buches „Elihu; Hinterlassene Aufzeichnungen aus der Ewigkeit“

 

 

 

 

Niehammer: Hallo Wolfgang!

 

Wallner F.: Freut mich, wieder von Dir zu hören!

 

N: Heute habe ich Fragen zum Kapitel „8B / g726 - DAX14 - 598Li - 755 / DU“, einem Kapitel Deines Buches „Elihu“. Da geht es um ein Leben in Elihus Wanderung auf einem „Ereignisstrahl“, wie Du sagst, der keine Zukunft bringt.

 

WF.: Ich bin sicher, dass es so etwas geben kann.

 

N: Du schreibst da: „Eine Änderung zum Besseren hätte nur dann eintreten können, wenn die Handelswege teurer oder ganz beschränkt geworden wären“. In Anbetracht der alarmierenden Zahl der Arbeitslosen in Deutschland und Österreich möchte ich von Dir gerne wissen, ob es hier mit dem unantastbaren „Heiligtum“ der Europäischen Union, der „Unbeschränkten Transportwege“ einen Zusammenhang geben könnte.

 

WF.: Da muss ich ein wenig in die Vergangenheit Österreichs gehen. Vor dem Beitritt Österreichs zur EU hatte dieses Land relativ wenig Arbeitslose, ein hohes Lohnniveau und trotzdem eine „funktionierende“ heimische Wirtschaft.

 

N: Es war doch so, dass Österreichs Wirtschaft auch deswegen „funktionierte“, da für eingeführte Waren, die einheimische Produktionen gefährdeten, fast „Strafzölle“ verlangt wurden. Österreich war praktisch eine „geschützte Werkstatt“.

 

WF.: Das sehe ich auch so. Aber ich sehe das auch nicht unbedingt als etwas Schlechtes an.

 

N: Aber diese Zölle stellten doch eine Wettbewerbsverzerrung dar.

 

WF.: In allen Zeiten wurden bei der Einfuhr von Waren Zoll verlangt, manchmal auch in fast räuberischer Absicht. Das gewährte aber den heimischen Arbeitern ein relativ sicheres Einkommen und, was wichtiger ist, die Möglichkeit der „absichtslosen Bildung“. Wichtig war immer, ein vernünftiges Gleichgewicht zwischen Import und Export zu erhalten. Es gab sogar im Mittelalter Städte, die durch eine rigorose Zollwirtschaft wegen der Handelsbeschränkungen – mitunter auch „nur“ kulturell - zugrunde gingen! Daran, dass es zwischen den einzelnen Staaten keine Zölle gibt, kann nur eine stark exportierende Wirtschaft Interesse haben.

 

N: Was meinst Du mit „absichtsloser Bildung“?

 

WF.: Das ist die Bildung, die „zwecklos“ ist. Sie ist keine Ausbildung für einen Zweck, der nicht im sich bildenden Menschen selbst liegt. Ein Zweck zur Ausbildung liegt immer in etwas, was außerhalb des Menschen existiert, zum Beispiel ein Arbeitsplatz. Bildung bedarf immer der freien Entscheidung zu ihr.

 

N: Aber eine sinnvolle Ausbildung erleichtert doch die Arbeitsfindung.

 

WF.: Ist das wirklich das Interesse des Menschen oder liegt das „nur“ an der Rolle, die er „spielt“, zum Beispiel als Arbeiter?

 

N: Wie könnte man sich eine Einfuhrbeschränkung zur Ankurbelung einer heimischen Wirtschaft aber vorstellen?

 

WF.: Die Europäische Union nimmt immer mehr Länder auf, deren Lohnniveau, Arbeitsbedingungen und Umweltstandards so niedrig sind, dass einheimische herstellende Betriebe wegen der geringeren Konsumentenpreise damit nicht konkurrieren können. Man fürchtete bei Erweiterungsverhandlungen immer, dass die „Hochlohnländer“ von „billigen Arbeitern“ überschwemmt werden.

 

N: Das hat sich aber nicht so ergeben, jedenfalls nicht im befürchteten Ausmaß.

 

WF.: Ja, da gleich Produktionsstätten wegen der Arbeitsbedingungen und der Umweltstandards günstiger in die neuen Billiglohnländern exportiert wurden. Die Einführung der gemeinsamen Währung hilft der Wirtschaft, Geld ohne Wechselverluste zu transferieren. Es hat sich herausgestellt, dass es billiger kommt, gleich die ganze Produktion zu exportieren, als billige Arbeitskräfte ins Land zu holen.

 

N: Die dann zusätzlich für Ängste in der Bevölkerung sorgen.

 

WF.: Es gibt Medien, die „das Fremde“ als etwas Bedrohliches darstellen. Es könnte aber auch z.B. Neugierde repräsentieren. Das Fremde, hier absichtlich auf ausländischen Arbeiter projiziert, bedroht das System, wird behauptet. Das stimmt ja auch irgendwie, denn dadurch werden die möglichen Arbeitsplätze im Land geringer. Es stimmt aber grundsätzlich nicht, denn diese Menschen sind ja früher von der Wirtschaft herein geholt worden! Und was noch ärger ist, die Wirtschaft muss daran interessiert sein, dass solche Arbeiter diskriminiert werden, denn dann müssen sie sich ruhig verhalten und weiter billigst und ohne Mindesterfordernisse an den Arbeitsplatz arbeiten. Es ist noch immer nicht anders, als Wallraff in „Ganz unten“ schrieb. Nur heute sind die Verantwortlichen gewarnt. So ein Buch hätte keine Chance zu erscheinen. So etwas geschieht aber ganz automatisch aus dem Grunde, da die Wirtschaft interessiert sein muss, möglichst billig zu produzieren und möglichst teuer zu verkaufen. Aber wie gesagt, heute verlegt man die Produktion.

 

N.: Ja, aber das kann doch nur solange gut gehen, als wir, die Käufer, Geld zum Kauf der Waren haben. Die Wirtschaft muss also auch dafür sorgen, dass Geld vorhanden ist, um die billig produzierten Waren auch zu kaufen.

 

WF.: Unbedingt muss sie daran Interesse haben. Aber denken wir das einmal durch. Es werden vielleicht in China billig Waren erzeugt und bei uns verkauft.  Was geschieht? Wenn bei uns keine Waren mehr erzeugt werden, gibt es bald kein Geld, um die Waren aus China, seien sie noch so billig, zu kaufen. Mit reinen Dienstleistungsbetrieben und „Fun- und Eventveranstaltungen“ kann eine Wirtschaft nicht existieren. Aber es steigt natürlich das Lohnniveau in China und die dortige Bevölkerung kann sich bald mehr Einkäufe leisten. Es kann sich die Richtung der Exporte dann umkehren. Von billigen Produktionsstätten dann bei uns zu den finanzstarken Käuferschichten in China. Unzweifelhaft wird es – natürlich über den Umweg von Dritt- und Viertländern – dazu kommen. Das bedeutet, die Wirtschaft braucht sich nicht darum kümmern, dass wir Mitteleuropäer höhere Einkünfte beziehen, um ihre Waren auch kaufen zu können. Durch die billigen Importe von z.B. Agrargütern wird dabei auch gleich die Primärwirtschaft vernichtet.

 

N: Also, was tun?

 

WF.: Ich bin mir sicher, dass die Wirtschaft auch dann produzieren wird, wenn die Gewinne vorhanden, aber geringer wären. Wenn importierte Waren so teuer wären, wie im Land produzierte, entstünden sofort neue einheimische Betriebe. Der Transportweg für bestimmte Produkte, die auch im eigenen Land erzeugt werden können, muss so teuer werden, dass sich ein Transport nicht mehr lohnt.

 

N: Es würde damit auch Sozial- und Steuerdumping, wie es in den Ländern der Europäischen Union populär gemacht wird, zurückgedrängt!

 

WF.: Es kann nur im kurzsichtigen Interesse der arbeitenden Bevölkerung sein, Stolz oder Befriedigung wegen niederen Sozialleistungen und geringer Steuerpflicht der Unternehmer zu empfinden. Mit Bedingungen wie sie derzeit bedauerlicherweise in Entwicklungsländern herrschen, kann eine einheimische Wirtschaft nie konkurrenzieren. Tatsächlich liegt billigste Produktion aber im durchaus legitimen Interesse eines Unternehmers. Wäre ich ein Unternehmer, wären mir niedere Löhne, viele Arbeitslose, keine Umweltschutzbedingungen, niedere Steuern und freie, kostengünstige Transportwege aus vitalem Grunde wichtig. Wenn hier vom arbeitenden Volk Altruismus für einen endlich geschafften Aufschwung der „Dritten Welt“ eingefordert wird, muss man sehen, welche Gewinne andererseits hiermit gemacht werden. Altruismus, der aus solchen Gründen von Unternehmern angeregt und durch Medien populär gemacht wird, ist mehr als fadenscheinig. Im puren Kapitalismus gibt es eben keine Menschlichkeit.

 

N: Eine Beschränkung der Transportwege wäre aber eine verwaltungsaufwendige Angelegenheit.

 

WF.: Das kann ich mir vorstellen. Aber billiger als immer mehr Arbeitslose zu haben, ungeachtet der brisanten politischen Zustände, in die man sich da begibt. Wenn ein Unternehmer im Ausland wegen der Kosten des Transportes nicht billiger produzieren kann, wird er aber sicher im Inland produzieren. Geld verdient er damit allemal auch. Bei allen solchen Überlegungen muss man beachten, um welche horrenden Geldbeträge es geht. Da scheint auch ein wenig Misstrauen angebracht, dass über eine relativ einfache und Erfolg versprechende Methode, wie es eine Beschränkung der Verkehrswege wäre, auch von Politikern nicht gesprochen wird.

 

N: Und durch weniger Transporte wäre auch der Umwelt geholfen.

 

WF.: Mir gefällt der Ausdruck „Umwelt“ nicht, da eine „Umwelt“ uns umgibt und nicht Teil unserer Selbst ist. Die Welt umgibt uns nicht nur, wir sind Teil davon! Derzeit versuchen Politiker, egal ob Linke oder Rechte, uns davon zu überzeugen, dass die schlechte Wirtschaftslage aus der „globalen“ Vernetzung entsteht und deswegen bestenfalls geringe, nationale Mittel dagegen bestehen. Da erheben sie die Verschlechterungen praktisch zu „Naturgesetzen“. Mir fällt da Bertolt Brechts Uraufführung der „Mutter Courage“ ein. Damals hatte in der Schweiz Therese Giese die Mutter Courage so „gut“ gespielt, dass die Zuseher ergriffen und zu Tränen gerührt waren, weil die arme Frau im Dreißigjährigen Krieg ihre Kinder verlor, aber trotzdem nicht aufgab. Ein grandioser Erfolg also. Brecht aber war erzürnt. Er hatte das Drama als „Episches Theater“ geschrieben. Damit wollte er erreichen, dass der Zuseher eben nicht „mitleidet“, sondern die Handlung als kritischer Mensch beurteilen konnte. Da hätte er unweigerlich gemerkt, dass die Mutter Courage gerade wegen ihrer wirtschaftlichen Interessen ihre Kinder verlor. Krieg ist kein Naturgesetz! Hätte die Courage nicht unter so menschenverachtenden Bedingungen, wie sie im Krieg herrschen, ihre wirtschaftlichen Gewinne im Auge gehabt, hätten ihre Kinder überlebt. Tatsächlich war also die Courage am Tod ihrer Kinder Schuld. Brecht verfasste mit „der Weigel“ eine Modellinszenierung, die das klar stellte.  (Zu Brechts „Mutter Courage“ siehe Wallner Fs Bemerkungen >hier<) Mir kommen die Begründungen der Politiker über die Wirtschaftslage als eine ebenso „schlechte“ Inszenierung wie die Uraufführung der Courage in der Schweiz und die von vornhinein aussichtslosen Versuche, die Auswirkungen der Wirtschaftspolitik zu verstecken oder auch mit Hilfe der Medien zu verschleiern als bemerkenswert falsch motiviert vor. Medien wecken dazu Emotionen, aber sind an Ideen nicht interessiert. Auch Auflagenzahlen korrumpieren bekanntlich. Auch vor dem Zweiten Weltkrieg wurden Schuldige für die schlechte Wirtschaft gesucht und gefunden. Der Hass auf bestimmte Bevölkerungsteile könnte aber heute verhindert werden, wenn das gewollt ist.

 

N: Brecht hat vollkommen Recht wenn er sagt: „Das Fressen kommt vor der Moral!“ Es ist eigentlich zum „Kotzen“, dass die Menschen sich noch immer so leicht manipulieren lassen.

 

WF.: Da fällt mir eine Meldung einer Zeitung in Österreich anlässlich des Mordes an einem bayerischen Modemacher Anfang des Jahres 2005 ein. Die vielgeliebte Zeitung sagte vom Mörder, es war ein „irakischer Asylstricher!“. Was da für Emotionen mit jedem Wort und Wortteil erweckt werden und, was noch schlimmer ist, auch für mich hat jeder Wortteil bereits negative Besetzungen, trotzdem ich glaubte, ein „bewusster“ Konsument zu sein!

 

N: Immer schon hat man über Medien auch Negatives sagen können.

 

WF.: Man müsste halt wissen, was man tut und auch was man liest. Vielleicht habe ich mit den „Transportwegen“ Recht. Das ist natürlich nicht die Hauptaussage und das wichtigste Anliegen des Buches „Elihu“. Aber ich meine, dass es endlich menschenunwürdig sein sollte, täglich Sorge um die Existenz zu haben. Was aber nicht unbedingt zu einer automatischen Versorgung „von der Wiege bis zur Bahre“ führen muss. Der mündige Mensch ist für sich verantwortlich, nur so kann er dem Beispiel Elihus nachfolgen. Die Gemeinschaft der Menschen, also auch der Staat, hat für die günstigsten Entwicklungsmöglichkeiten der Menschen, also von sich selbst, vorzusorgen. Ein Staat ist eine Gemeinschaft von Menschen, nicht der Wirtschaft oder des Kapitals! Sonst hat der „Ereignisstrahl“ auf den wir uns befinden, wie im Kapitel „8B / g726 - DAX14 - 598Li - 755 / DU“ aus dem Buch „Elihu“ keine Zukunft. Das „DU“ am Ende des Titels steht übrigens für das persönliche Fürwort dort, allerdings ist im Titel auch „DAX“ enthalten, der Börseindex! Ich hoffe aber doch auf eine Zukunft und auf Vernunft. Karl Marx soll nicht Recht behalten, wenn er wollte, dass Kapitalismus nur durch eine gewaltvolle Revolution zu beenden ist. Vielleicht erscheint wieder eine „sanfte Evolution“, wie es einmal die Utopie des Sozialismus war. Als Mehrheit im Staat könnten wir Menschlichkeit ja einfordern, indem wir nur Politiker wählen, die das garantieren. Eine faire Wirtschaft und eine Menschheit, die bewusste Regeln der Wirtschaft festlegt, könnten gewährleisten, dass nicht eine Region zugunsten einer anderen absichtlich in den Ruin getrieben wird. Es wäre um die Aufklärung schade!

 

N: Danke für das Gespräch.

 

WF.: Bitte Ferdinand, ich danke Dir. Setzen wir einmal fort?

 

N: Bin mir ziemlich sicher.

 

 

 

 

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